© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/98 21. August 1998


Zum Skandal um den Aktionskünstler Hermann Nitsch
Ein weinerlicher Revolutionär
Andreas Mölzer
 

Es war ein Medien-Gefecht, wie es wohl nur in den Tagen des Sommerlochs denkbar war. Die linksliberale Medienschickeria ereiferte sich im Kampf um die Wahrung der Freiheit der Kunst, Tierschützer, konservative Kleriker im Bunde mit Österreichs einzigem wirklichen Volksblatt prangerten den Aktionskünstler als Schlächter an: Hermann Nitsch vermochte es noch einmal, mit einem längst bekannten "Orgien- und Mysterien-Theater" in die Schlagzeilen zu kommen. Der künstlerische Nährwert des Ganzen ist gewiß dürftig, der Marktwert der eintönig roten Schüttbilder des Meisters dürfte allerdings aufgrund des Medienwirbels gestiegen sein.

Insgesamt aber lehren uns die künstliche Erregung um den Aktionisten und dessen beleidigte Reaktion doch einiges: Es gibt kaum etwas lächerlicheres als weinerliche Revolutionäre oder Berufsprovokateure, die sich selbst – unerhört! – provoziert fühlen. Dies betrifft auch, oder vor allem, die Kunst. Wenn in die Jahre gekommene "Avantgardisten" larmoyant beklagen, daß ihr ihrer Zeit ach so weit vorauseilendes Kunstschaffen nicht verstanden, ja gar bekämpft wird, ist dies lächerlich. Wenn jene, die die ethischen und religiösen Werte ihrer ach so spießigen Zeitgenossen in den Schmutz treten müssen, dann ihrerseits bejammern, daß ihre ach so hoch zu bewertende künstlerische Freiheit nicht geachtet wird, darf geschmunzelt werden.

Dies durften wir kürzlich im Fall des träge gewordenen Aktionskünstlers Hermann Nitsch beobachten. Sein sogenanntes "Orgien- und Mysterien-Theater" in der weiß wievielten, immer gleich degoutanten Auflage, war in Wahrheit nicht viel mehr als die Neuauflage einer längst schal gewordenen Provokation. Der untaugliche Versuch, mittels eines wirren Drehbuchs so etwas wie ein "sakrales Gesamtkunstwerk " zu gestalten, war eher lähmend. Der Konsum von Unmengen Brünnerstraßler, das Vergießen von Rinderblut und die Selbstzurschaustellung einiger Exhibitionisten unter der müden Anleitung des Altmeisters erinnerte nur fern an eine "Orgie". Es ist das Problem der "Aktionskunst", daß ihr wichtigstes Stilmittel – die Provokation – nicht mehr greift. Alles ist bereits über Fernsehkanäle und Illustriertenseiten auf uns eingedrungen.

In diesem Zusammenhang scheint sich im Lande doch so etwas wie ein wertekonservativer Bewußtseinswandel anzubahnen. Die Affären um das Auftreten von Otto Mühl im Burgtheater, um die Auftragsvergabe an den Fäkalienartisten Cornelius Kolig im Kärntner Landtag und nunmehr das Prinzendorfer Spektakel von Hermann Nitsch haben gezeigt, daß nicht nur die schweigende Mehrheit im Lande angewidert ist, sondern auch zunehmend in den Medien kritische Stimmen laut werden.

Eine selbsternannte Avantgarde ist alt geworden, ihre Provokationen langweilen indessen nur noch, und die künstlerischen Stilmittel und Aussagen erweisen sich letztlich als ordinäre Platitüden. Die zeitgenössische Kunst auch in Österrreich wird diese Irrwege hoffentlich bald überwinden. Nitsch und Mühl dürften dann wohl eher Fälle für die Altersversorgung sein und nicht für die Kunstgeschichte.
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