© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


Das Recht der Macht
von Konrad Kranz 

Die USA reagierten schnell. Als Antwort auf die Bombenanschläge islamistischer Fanatiker in Nairobi und Daressalam feuerten sie 80 Marschflugkörper auf vermutete Basen der Terroristen in Afghanistan und auf die Fabrik el-Schifa in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Neue Terror-Angriffe seien zu erwarten gewesen, hieß es zur Begründung. Die USA sind Weltmacht und haben ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt, und zwar typisch amerikanisch: modern, teuer, rücksichtslos, vergleichsweise risikoarm für das eigene Militär und begleitet von ausgeklügelter Propaganda. Sowenig die offizielle servile Zustimmung der handlungsschwachen europäischen Verbündeten angebracht war, so verfehlt ist die Amerika-Kritik im Westen.

Natürlich betreiben die Amerikaner "Rambo- und Kanonenboot-Politik", warum auch nicht? Ussama Ibn Ladin, mutmaßlicher Drahtzieher der Anschläge in Ostafrika, Führer weltweit agierender islamistischer Terrorgruppen und mindestens für zwei Attentate in Saudi-Arabien verantwortlich, bei denen 1995 und 1996 insgesamt 24 GI's starben, hat den USA und der westlichen Moderne den Krieg erklärt. Die USA haben berechtigt zurückgeschlagen – gleichwohl bleibt ein schaler Beigeschmack. Wurde in der sudanesischen Fabrik wirklich Nervengas produziert? Zumindest nahmen die Amerikaner in Kauf, daß Unschuldige getötete wurden. Vom Völkerrecht waren die Attacken ohnehin nicht gedeckt. Zwar muß man Abkommen nicht einhalten, die der andere nicht unterschrieben hat, dennoch muß eine "zivilisierte Macht" aufpassen, wann sie den letzten Schritt geht: zum Staatsterrorismus und sogar zum Kriegsverbrechen. Gerade im Monat August, wenn in Hiroshima und Nagasaki Hunderttausender getöteter Frauen und Kinder gedacht wird, darf Washington daran erinnert werden. Bedenklich sind außerdem die ungleichen Maßstäbe, die bei Freund und Feind angelegt werden: die USA gelten in der islamischen Welt deshalb als "Protektor der Zionisten", als wahrer Aggressor und kultureller Imperialist. Wenn US-Außenministerin Albright dem fundamentalistischen Taliban-Regime die diplomatische Anerkennung anbietet, so Ibn Ladin ausgeliefert wird, ist die Grenze zur Verlogenheit überschritten. Aber es geht um die Durchsetzung nationaler Interessen. Daß die USA dazu in der Lage sind, kann man ihnen nicht übel nehmen. Widerwärtig aber ist, wie diese Machtpolitik als Moral verkauft, wie die Wahrung politisch-wirtschaftlicher Interessen mit gleichsam höheren Weihen versehen, wie die Welt schlicht in gut-böse zerlegt wird. Der Konflikt zwischen den "Kulturen" ist im Gange, und es kann realpolitisch für Deutschland keine Zuschauerrolle geben.


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