© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/98 28. August 1998


Lewinskys Raketen: Startschüsse für den "Kampf der Kulturen"
Symptome der neuen Zeit
von Alexander Beermann 

Selten haben die USA so schnell und so effizient einen Gegenschlag ausgeführt wie jenen der vergangenen Woche als Vergeltung für die Anschläge auf die Botschaften in Kenia und Tansania. Selten waren die USA allerdings auch in einer Lage, in der Entschlüsse des Präsidenten derart auf den moralischen Prüfstand gestellt worden sind wie in diesem Fall.

Dabei wäre die Sachlage ziemlich eindeutig, wenn es nicht die Lewinsky-Affäre gäbe, die Spekulationen aufwirft, ob der Angriff auf Terroristenziele im Sudan und in Afghanistan nicht als Ablenkungsmanöver dienen soll. Auch wenn dies nicht zutrifft, verstärken sich so oder so islamische Stereotypen von Clinton als "großem Satan"; und Extremisten wie Ussam Ibn Ladin, jener Saudi, der für die Anschläge in Nairobi und Daressalam verantwortlich gemacht wird, können sich über einen weiteren Machtzuwachs freuen.

Wenn Clinton nun beteuert, die 75 "Tomahawk"-Raketen hätten nicht "dem Islam" gegolten, sondern den terroristischen Fundamentalisten, dann fragen sich viele, ob er diesmal die Wahrheit spricht und ob er wirklich differenziert, wenn er zum Krieg gegen den Terrorismus aufruft. Das Feindbild Amerika erweist sich, nicht nur im arabischen Raum, immer wieder als sehr massiv – allen außenpolitischen Beziehungen Washingtons zu Islamabad und dem indirekten Einfluß auf die Taliban im benachbarten Afghanistan zum Trotz. Ein unglaubwürdiger Präsident im Sattel der letzten Supermacht erscheint nicht nur verwundbar, sondern provoziert durch seine offensichtlichen "Schwächen" auch das Verhalten potentieller Gegner. Clinton verkörpert für viele Menschen in der islamischen Welt immer mehr die ganze Fragilität und Arroganz des "Westens". In Washington wiederum besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß die vom Präsidenten persönlich herbeigeführten Krisen (von der "Whitewater"- bis zur Lewinsky-Affäre) die Saddam Husseins dieser Welt ermutigen, sich gegen den "Global Cop" USA aufzulehnen.

Die amerikanische Kriegserklärung an den fundamentalistischen Terrorismus weist auf einen schon länger schwelenden Kriegszustand hin, der die letzte Supermacht zermürben und Präsidenten zu Fall bringen kann. Es handelt sich hierbei um einen Krieg, in dem die Gegner leidensfähiger, ausdauernder und politisch überzeugter sind als die Bevölkerung des westlichen, abendländischen Kulturkreises. Die vermeintlichen "Kreuzzügler" sind nicht nur in aller Regel bequem und weich, sie sind auch in einem außerordentlich hohen Maße selbstkritisch und nehmen die eigenen Maßnahmen nicht selten so unter die Lupe, daß am Ende dieser Betrachtungen die Streitkräfte schlimmstenfalls zur Handlungsunfähigkeit verdammt sind. Als dringlich erachtete militärische Interventionen werden gestört oder sogar unterbunden, indem der Gegner dank der westlichen Medienberichterstattung den "Krieg der Auffassungen" gewinnt und trotz des nackten Terrors die Reaktionen schon im Vorfeld durch die Stimmung in der "Öffentlichkeit" an Durchschlagskraft verlieren. Das Resultat ist eine Art neuerliches "Vietnam-Syndrom".

Hinzu kommt, daß die Vereinigten Staaten ebenso wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland starke islamische Bevölkerungsgruppen haben, die als Druckmittel bestimmter Kräfte im Nahen Osten eine wichtige Rolle spielen können. Das Risiko einer starken Polarisierung im eigenen Land wird in Zukunft die Beziehungen zwischen den westlichen Verbündeten immer stärker beeinflussen und kommende Konfrontationen beispielsweise als "rein amerikanische Probleme" erscheinen lassen, auch wenn es sich tatsächlich um folgenschwere Machtkämpfe handelt, die mehr oder weniger dem entsprechen, was Samuel Huntington den "Kampf der Kulturen" genannt hat.

Auch wenn "der Islam" keinesfalls einen homogenen Block bildet, so wird seine interne Konsensfähigkeit durch die Verbreitung eines extremen Feindbildes und den wachsenden Fundamen-talismus doch deutlich größer. Schon prahlen Fundamentalisten, daß keine islamische Regierung es wagen würde, Ibn Ladin an den Westen auszuliefern. Die Grenzen des Einflusses der USA und der NATO sowie die Zerbröckelung der Allianzen, die noch im Golfkrieg Bestand hatten, sind augenfällig.

Die sehr unterschiedlichen Wertvorstellungen und Normen werden zweifellos von maßgeblichem Einfluß auf die weiteren weltpolitischen Entwicklungen sein. Im Westen geht die Abneigung gegen Gewalt inzwischen beispielsweise so weit, daß selbst solche gegen Gewalttäter keineswegs mehr selbstverständlich ist. Militärische Konfrontationen, die nicht kurz und deutlich sind, tragen das Risiko in sich, sehr bald die Unterstützung durch die Bevölkerung zu verlieren. Im Gegensatz dazu ist die Entscheidung für den Einsatz von Waffengewalt in islamischen Ländern bis heute weitaus verbreiteter und gegenüber dem jeweils eigenen Volk oder Stamm offenbar ungleich leichter zu rechtfertigen. Zwischen 1928 und 1979 wurden dort 53,5 Prozent aller Krisen militärisch ausgetragen, während diese Quote in westlichen Staaten um mehr als die Hälfte niedriger liegt.

Weitere zu beachtende Aspekte sind die irreguläre Art eines "Terroristenkrieges" und die Tatsache, daß Experten es für fast unmöglich halten, die Anschläge auf zivile Ziele zu verhüten. Allein massive Präventivmaßnahmen können einen Teil der Terroraktionen verhindern, nur werden solche Angriffe intern mehr als nur umstritten sein, da deren Wirkung in Form des verhinderten eigenen Leids nicht meßbar ist. Ein weiterer gravierender Nachteil für westliche Staaten liegt darin, daß die Mentalität des Glaubenskriegers mit dem des hiesigen Verteidigungs-Beamten kaum zu vergleichen ist. Die Überbewertung der technologischen Überlegenheit führt zu einer trügerischen Selbstsicherheit. Schon in Mogadischu wurde Technologie durch unerwartetes Verhalten der Gegner neutralisiert: Daß diese ihre eigenen Frauen und Kinder als Schutzschilder benutzen würden, war für die westliche Soldaten einfach unvorstellbar.

Entschlossenheit, Ausdauer und instinktives Handeln sind "Krieger"-Eigenschaften, die im Westen systematisch abgebaut wurden, in anderen Erdteilen jedoch bis heute mit der sprichwörtlichen "Muttermilch" eingesaugt und als normale männliche Attribute angesehen werden. Militärhistoriker wie der Brite John Keegan oder der Israeli Martin Van Crefeld warnen schon seit Jahren vor den Folgen für all jene Länder und Regierungen, die die kulturelle Prägung sogenannter Kriegervölker ignorieren und glauben, daß ihre eigenen Werte weltweite Gültigkeit besitzen. Der Gegner, für den die westlichen Streitkräfte vorbereitet und ausgebildet sind, ist nicht der Gegner, auf den sie in einer eskalierenden Konfrontation mit islamischen Staaten treffen werden. Und einen zweiten "Desert Storm" wird es nicht geben.


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