© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/98 04. September 1998

 
Parteien: CDU-Politiker denken über mögliche Bündnisse mit Fischer & Co. nach
Schwarz-grünes Techtelmechtel
von Thorsten Thaler

Helmut Kohl stiftete wieder einmal heillose Verwirrung. Die in der vergangenen Woche scheinbar beiläufig hingeworfene Interview-Äußerung des Kanzlers und CDU-Vorsitzenden, die Grünen seien langfristig als Koalitionspartner für die Union denkbar, sorgte gut drei Wochen vor der Bundestagswahl für reichlich Gesprächsstoff. Da half es auch nicht, daß Kohl seine Aussage unter den Vorbehalt stellte, daß die Grünen sich in eine "wertkonservative, auch außen- und sicherheitspolitisch vernünftige Richtung" entwickeln müßten, bevor an eine Zusammenarbeit mit der Ökopartei zu denken sei. Ebensowenig interessierte, daß Kohl schwarz-grüne Bündnisse in weite Ferne rückte ("nicht morgen oder übermorgen – und sicherlich nicht in den nächsten vier Jahren").

Die Grünen reagierten auf der Stelle. Die beiden Vorstandssprecher Gunda Röstel und Jürgen Trittin erklärten, der CDU müsse angesichts ihrer drohenden Wahlniederlage"das Wasser bis zum Hals" stehen. Wochenlang habe das Adenauer-Haus die Grünen mt Dreck beworfen. Betrachte man den bisherigen Koalitionspartner FDP und dessen Wahlaussichten, sei "Kohls Schielen nach anderen Mehrheiten nachvollziehbar". Für eine Koalition müßten sich aber nicht die Grünen ändern, sondern die CDU, so die beiden Parteisprecher.

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Joschka Fischer, qualifizierte die Spekulationen um schwarz-grüne Bündnisse als "Quatschdiskussion". Die Bemerkung Kohls zeige das "Ausmaß von Verwirrung und Panik" in der Bonner Regierungskoalition. Für die Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer stellt eine Zusammenarbeit von CDU und Grünen dagegen eine langfristig mögliche Konstellation dar. In einem Zeitungsinterview erklärte die grüne Spitzenkandidatin in Hessen, insbesondere der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Schäuble habe, anders als Kohl, einen "reformerischen Ansatz". Wolfgang Schäuble hatte 1994 maßgeblich dafür gesorgt, daß Frau Vollmer mit den Stimmen der Unionsfraktion zur Vizepräsidentin des Parlaments gewählt worden war.

Kohls zweiter Kronprinz, Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, schloß eine Zusammenarbeit mit der Ökopartei auch für die Zukunft kategorisch aus. "Die Grünen sind ganz klar eine linke Partei, die Deutschland destabilisieren würde", erklärte der CDU-Politiker der Hamburger Bild-Zeitung. Rühe warnte davor, in der Wahlkampfzeit "philosophische Betrachtungen" über schwarz-grüne Bündnisse anzustellen. "Ich bin gegen eine Zusammenarbeit zwischen Grünen und der Union, jetzt und auch in Zukunft", legte sich Rühe fest. Christdemokraten und Bündnisgrüne lägen "hundert Prozent auseinander".

Diese Auffassung teilen freilich nicht alle CDU-Spitzenpolitiker. Berlins Ex-Gesundheitssenator Peter Luther, der bei den Abgeordnetenhauswahlen im Oktober 1995 das einzige Direktmandat für die CDU im Ostteil Berlins gewonnen hat, fordert seit langem ein Umdenken seiner Partei in der Koalitionsfrage. "Die Zukunft gehört Schwarz-Grün", ist der Abgeordnete und CDU-Kreisvorsitzende im Bezirk Weißensee überzeugt. Eine Fortsetzung der seit 1991 bestehenden Großen Koalition in Berlin nach der Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr solle die Union nicht mehr anstreben, so Luther. Um einen Neuanfang zu ermöglichen, müßten allerdings bei der CDU und bei den Grünen "die führenden Politikerriegen ausgewechselt werden", diktierte er im Mai einem Redakteur der Berliner Morgenpost in den Block.

Unterstützung findet Luther bei seinem Parlamentskollegen Andreas Apelt. Der CDU-Kreisvorsitzende im Bezirk Prenzlauer Berg hält Schwarz-Grün als "längerfristige Überlegung" für bedenkenswert.

Über schwarz-grüne Perspektiven denken auch die CDU-Landesvorsitzenden und Oppositionsführer in Hamburg (Ole von Beust), Hessen (Roland Koch), Niedersachen (Christian Wulff) Rheinland-Pfalz (Christoph Böhr) und im Saarland (Peter Müller) nach. So stellte der niedersächsische Fraktionschef Wulff schon vor drei Jahren eine wachsende Zahl von Gemeinsamkeiten mit den Grünen fest. Auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung im November 1995 zum Thema "Schwarz-Grün: Provokation oder realistische Perspektive" räumte er ein: "Die CDU ist grün geworden und muß noch grüner werden."

Für den Hamburger CDU-Chef Ole von Beust wäre die Union "schlecht beraten, wenn sie auf Dauer ein Bündnis mit den Grünen ausschließt", sagte er im April 1996 gegenüber der Welt. Die CDU solle sich gegenüber den Grünen offener zeigen, pflichtete ihm der saarländische CDU-Vorsitzende Peter Müller bei. Im Saarland gebe es zwischen Christdemokraten und Grünen genauso viele Gemeinsamkeiten wie zwischen CDU und SPD. Als Koalitionspartner für die Union kann sich Müller die Grünen ebenso vorstellen wie die FDP.

Einen Schritt weiter sind bereits die Nachwuchsorgansisationen von CDU und Grünen. In Mecklenburg-Vorpommern treffen sich Vertreter der Jungen Union (JU) und der Grün-Alternativen Jugend (GAJ) seit 1997 regelmäßig zu politischen Diskussionen, um über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Politik nachzudenken. Nach einem Seminar vom 3. bis 5. Juli dieses Jahres erklärte die Landessprecherin der GAJ, Dorothea Weiß: "Wir finden es nicht gut, wenn Vorschläge und Ideen nur deshalb abgelehnt werden, weil sie von einer anderen politischen Richtung kommen." Die Seminare könnten "ein Beispiel für unsere Mutterparteien sein". Der JU-Landesvorsitzende Andreas Lange ergänzte: "Zwischen CDU und Grünen gibt es große Gegensätze. Aber es gibt auch Punkte, da können diese Parteien zusammen das Land gestalten."


 
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