© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Kolumne
Unruhige Jugend
von Will Tremper

Bis heute kenne ich den Unterschied zwischen den Republikanern und der DVU nicht, obwohl mir ein Super-PCler versichert hat, es gebe keinen: "Sind alles Neo-Nazis!" Wenn das stimmte, könnten sich die etablierten Parteien eine dicke Scheibe abschneiden von diesen "Neo-Nazis" Dann hätten wir es mit einem unglaublichen politischen Phänomen zu tun. Mit der Wiedergeburt einer bzw. zweier Parteien, die vor mehr als 50 Jahren ganz Deutschland in den Abgrund gefahren haben. Mit zwölf Millionen NSDAP-Mitgliedern, die sich mit einem Schlag als "Widerständler" entpuppt haben. Schon 53 Jahre ist das in diesem Jahr her. Und ihre (Enkel-)Kinder haben nichts aus dem Desaster damals gelernt. Gemach, gemach.

Tatsächlich gibt es, im Unterschied zur SED/PDS, keine Nachfolgepartei der NSDAP. Es gibt nur ein paar uralte Schrumpfköpfe der ehemaligen NSDAP und ein paar Dickköpfe, die nicht wahrhaben wollen, was vor 53 Jahren für jedermann sichtbar war. Und es gibt jene "unruhige Jugend", die vorzugsweise von linken Literaten besungen wird – falls sie in Opposition zur demokratisch gewählten Macht steht. Also, die "68er", zum Beispiel, die inzwischen Karriere in diesem Staat gemacht haben. Niemand wäre 1968 auf die Idee gekommen, diese Parka-Bewegung "Neo-Nazis" zu schimpfen. Dafür bedienten sie sich viel zu sehr linker, ja kommunistischer Parolen.

Aber nun die neue "unruhige Jugend", die in Sachsen-Anhalt für knapp 13 Prozent DVU-Wählerstimmen gesorgt hat. Die schon übt, ihr Kreuzchen auch bei der Bundestagswahl hinter die DVU zu malen, weil sie diesen sagenhaften 13-Prozent-Erfolg von Sachsen-Anhalt wiederholen möchte. "Neo-Nazis"? Daß ich nicht lache. Diese "unruhige Jugend" weiß doch gar nicht, warum sie den Arm ausstreckt und "Heil" ruft und den Geburtstag von Rudolf Hess feiert. Das heißt, sie weiß genau über die "Heil"-Rufe und ihre Wirkung auf die Alten Bescheid. Sie ärgert das demokratische Establishment bis zur Weißglut. Sie kann sicher sein, die gesamte Journaille noch wochenlang nach der Bundestagswahl auf die Barrikaden zu treiben. Ein schöner Erfolg für die "Neo-Nazis" – wenn wir sie denn ernst nehmen wollten.

Jedoch: begreifen läßt sich das "Neo-Nazi"-Syndrom schon. Wohin soll sich diese halbgare Jugend denn wenden, wenn sie auftrumpfen, Widerstand leisten will? Zu vieles in diesem Staat ist nur PC-gelenkt, zu wenig darf sich artikulieren.

Die Demoskopen wollen festgestellt haben, daß die Hälfte aller Wahlberechtigten noch nicht wissen, wen oder was sie wählen. Wenn sie sich da mal nicht geirrt haben…


 
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