© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Geschmiert
von Georg Bensch

In deutschen Regierungskreisen herrscht Aufregung. Denn: Neben der allgemeinen Zunahme der Kriminalität in Deutschland machen der Polizei jetzt auch immer öfter Korruptionsdelikte in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung zu schaffen. Mehr als 100.000 Bestechungsfälle in Amtsstuben und Wirtschaft pro Jahr lassen aufhorchen. Immer häufiger wird "geschmiert", wird Korruption zur Geschäftsstrategie. Die Bereitschaft, sich oder andere zu korrumpieren, ist in den letzten Jahren bei öffentlichen Bediensteten sprunghaft angestiegen. Es gibt so gut wie nichts mehr, was sich in deutschen Amtsstuben nicht für Bestechungsgeld kaufen läßt: Führerscheine, Aufenthaltsgenehmigungen, günstige Steuerbescheide, Baugenehmigungen, Aufträge, Gaststätten-Konzessionen, die Befreiung vom Wehrdienst. Immer öfter halten Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst für "Gefälligkeiten" die Hände auf. Dabei wird genommen, was man bekommen kann. Das Spektrum reicht von Essenseinladungen über kostenlose Bordellbesuche und die Überlassung von Ferienwohnungen bis zur Zahlung hoher Geldsummen. Kriminologen schätzen, das alleine bei öffentlichen Bauvorhaben in Deutschland pro Jahr 180 Millionen Mark an Schmiergeldern gezahlt werden. Eine Summe, die angesichts leerer Haushaltskassen schockiert.

Aber nicht nur Staatsdiener verinnerlichen in zunehmendem Maße die Devise: Der Ehrliche ist der Dumme! Auch Industrie und Handel werden immer öfter von dem Korruptionsvirus erfaßt. Jährlich kommt es in den 2,3 Millionen deutschen Unternehmen zu unzähligen Fällen von Korruption. Doch aus Furcht vor einem ramponierten Image erstatten die betroffenen Firmen nur selten Anzeige. Die meisten Unternehmen kehren aus Angst alles unter den Teppich. Besonders innerhalb der Wirtschaft haben sich Korruption und Erpressung zu Kommunikationsmitteln entwickelt, welche in der heutigen Machtgesellschaft von dubiosen Geschäftsleuten fortlaufend benutzt werden. Kenner der Szene beziffern den jährlichen Schaden, der durch den Sumpf von Gefälligkeiten, Vergünstigungen, Ermessensüberschreitungen und Rechtsbrüchen entsteht, zwischen fünf und zwanzig Milliarden Mark. Nach Einschätzung von Wirtschaftsexperten haben Korruption und Bestechung in deutschen Unternehmen eine Dimension erreicht, die der internationalen Reputation des Standortes Deutschland schade. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik auf einer Liste von 52 Ländern bereits auf Platz 13. Es stinkt beträchtlich! Korruption ist in Deutschland keine Ausnahmeerscheinung mehr, sondern beinahe die Regel.


 
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