© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Apollon, Pan, Dionysos: Über Friedrich Georg Jüngers Religiosität
Herrschaft der Technik
von Karlheinz Weissmann

Viele haben mit Überraschung gehört, daß Ernst Jünger einige Zeit vor seinem Tod zum Katholizismus konvertiert ist; wenige haben diesen Schritt erwartet, etwa wegen Jüngers intensiver Beschäftigung mit der Bibel in den vierziger Jahren oder wegen des stärker werdenden "Platonismus", der im Spätwerk so weit ging, daß man auch bei der Wendung zum Katholizismus einen häretischen – "gnostischen" – Hintergrund vermuten darf. Vielleicht waren Ernst und Friedrich Georg Jünger selten so weit voneinander entfernt wie an diesem Punkte: Das Christentum stellte für Friedrich Georg nie eine Versuchung dar, ihn, der sich daran erinnerte, als Kind überhaupt keinen Begriff davon gehabt zu haben, "wozu es Prediger, Predigten und Kirchen gab".

Dabei enthielt das Heidentum Friedrich Georg Jüngers keine aggressive Wendung gegen die Kirche und ihre Lehre, es war eher etwas wie Befremden über das Evangelium darin, ein archaischer Seelenrest, der schon den Jungen sich zurücksehnen ließ nach der Zeit des "großen Vaters …, der in die Haseln ging, um sich mit der Schlange zu besprechen". Die Schlange, die bei Ernst Jünger etwas Ambivalentes behielt, war bei Friedrich Georg Jünger ein ganz positives Symbol, "dieses herrliche Geschöpf, das glänzend in der Sonne ruht", das "leuchtende Mittagstier" und deshalb dem Apollon geweiht, jenem Gott, dem sich Jünger in besonderer Weise verbunden wußte. Mit der Midgardschlange, dem apokalyptischen Tier, konnte er nichts anfangen. Sein Heidentum suchte sich überhaupt selten Ausdruck im Rückgriff auf die germanische Überlieferung; ganz im Vordergrund stand die Beschäftigung mit den griechischen Mythen. Nach mehreren Vorarbeiten veröffentlichte Jünger den Band "Griechische Götter" (1943), dem einige Bücher zu verwandten Themen folgten. Er schloß die Beschäftigung erst mit dem großen Essay über "Mythen und Mythologie" (1976) ab, der kurz vor seinem Tod in der von ihm mitbegründeten Zeitschrift Scheidewege erschien. Dabei spielte selbstverständlich die Begegnung mit dem Denker Nietzsche eine wichtige Rolle. Jünger war durchaus heidnisch im Sinne Nietzsches, der Heidentum verstand als "Jasagen zum Natürlichen, das Unschuldsgefühl im Natürlichen, die Natürlichkeit". Dabei ging es ihm aber nicht um eine Verehrung des "élan vital" oder des "Lebens" im Sinn darwinistischer oder anderer Entwicklungslehren. Es ging ihm um den Versuch, eine ältere Anschauung des Daseins wieder freizulegen, die vor Urzeiten entstand und sich lange noch im christlichen Ton erhalten hatte: die Erinnerung an eine vorgeschichtliche, ungeschichtliche Existenz: "Ohne Zeit ist alles zugleich, In der Mitte ruht jeder Kreis", heißt es in dem Gedicht "Die Perlenschnur". Die ursprünglichen Mächte besaßen noch ihren Rang: der ordnende, heitere, Städte gründende Apoll, der phallische, zeugende, in der Wildnis hausende Pan, der trunkene, ungebärdige, zur Raserei treibende Dionysos.

Die von den Olympiern geschaffene Welt war keine Idylle und trug die Bedrohung immer in sich. Im "Gesang des Prometheus" ließ Jünger den von Zeus für seinen Frevel an den Kaukasus geschmiedeten Titanen prophezeien:

"Und die Erde, auf deren Nacken Olympos thronet, / Ruft die Giganten herbei, die einst ihr Schoß sich gebar. / Sie, die unüberwindliche Nährerin stolzer Geschlechter, / Rufet mit wilderem Ruf Götter zum Streite herbei. / Untergang seh ich zunächst, Verzweiflung, Jahrhunderte alten, / Unerbittlichen Krieg. Alles versinket in Nacht."

Die Gestalt des Prometheus hat Jünger stark beschäftigt. Der "geistigste" unter den Titanen hatte den Göttern das Feuer gestohlen und es den Menschen gebracht. In seinem Werk "Die Perfektion der Technik" (1939/46) gab Jünger diesem Mythos eine interessante Wendung, indem er den solaren Cha-rakter dieses Feuers betonte und den Zorn der Götter nicht darauf zurückführen wollte, daß diese den Menschen den Besitz neideten, sondern darauf, daß es sich um die "Indienststellung" einer göttlichen und uranfänglichen Kraft handelte, die sie nicht dulden konnten. Das wesenhaft Titanische der menschlichen Technik komme darin zum Ausdruck, daß diese keinen Weg finde, die Sonnen-Energie zu nutzen. Sie müsse deshalb auf tellurische Kräfte, wie sie bei der Atomspaltung freiwerden, zurückgreifen. Das Unmäßige und Übermäßige, auch das Monströse ist ein Wesensmerkmal des Titanischen wie der Technik. Daß deren Herrschaft deshalb nicht ewig währen kann, deutete Jünger nur vorsichtig an, immerhin endet das zitierte Gedicht mit den Zeilen: "Dies war der Gesang des hohen Fürsten Prometheus. / Doch der Donner des Zeus schlug den Titanen hinab."

Jünger war sich bewußt, daß es einen großen Unterschied zwischen dem Nachdenken über den Mythos und dem mythischen Denken gibt und die Gefahr einer Verwechslung groß ist. Das Reden über den Mythos und seine bleibende Macht war vor allem in der Zwischenkriegszeit Mode. Auch der Nationalismus in seiner Barrès’schen Fassung, dem beide Brüder Jünger anhingen, war ausdrücklich als "Glaube" gedacht. Friedrich Georg Jünger hat dementsprechend die Nation als "Glaubensgemeinschaft" bezeichnen wollen, die sich in ihren Mythen und ihren Heroen ausdrücke. Aber das blieb eine vorübergehende Irritation, zumal deutlicher wurde, daß der antike Mythos mit "Glauben" im Sinne der biblischen Tradition gar nichts zu tun hat: "Der Glaube, der etwas für wahr hält, der in der Überzeugung von dieser Wahrheit lebt und stirbt, schließt ein, daß das Fürwahrgehaltene nicht zum Vorschein kommt, nicht leibhaftig sich zeigt.

Nichts ist für den heutigen Menschen fremdartiger und unwahrscheinlicher als die leibhafte Erscheinung der Götter. Er glaubt nicht an sie. Doch reicht ein solcher Satz nicht hin. Sie können ihm nicht mehr erscheinen, auch wenn er an sie glaubte. Warum nicht? Weil das Erscheinen des Gottes mit Glauben und Unglauben nichts zu tun hat, weil in den Mythen keine geglaubte Wirklichkeit dargestellt wird, eine, die mit Fingern nicht berührt und gezeigt werden kann."

Die Götter fordern nicht Glauben, sie verlangen Opfer. Ihre Realität war den Alten unzweifelhaft, weil sie ihr Wirken wahrnahmen, weil sie – obwohl grundsätzlich von ihnen geschieden – doch in einer Weise nahe waren. Eine solche Nähe erscheint für denjenigen unmöglich, der nur die Begegnung mit dem Ganz-anderen glaubt, in dem Sinn, den die Offenbahrungsreligionen lehren. Die von ihnen mit so viel Skepsis betrachtete "Erfahrung" war die eigentliche Wurzel der Religion Friedrich Georg Jüngers.


 
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