© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/98 11. September 1998

 
Konfrontation mit der Jugend
Von Manuel Ochsenreiter

Mit seinem Forum-Beitrag "Was ist heute national?" (JF 37/98) will Roland Wehl eine längst geführte Debatte anzetteln, deren Bart sich seit Jahrzehnten durch das ganze nationale Lager zieht. Deutschland, 1998 in irgendwelchen Hinterzimmern: "Ist rechts gleich national? Ist national ungleich links? Oder links nicht wirklich national? Passen weinrote Socken zu meinen neuen Wildlederschuhen? Warum ist das Pils hier im Hotel dreimal so teuer? Mach’ doch mal jemand die Tür zu, man muß draußen ja nicht unbedingt hören, was wir hier reden."

Gleichzeitig, von den Diskutierenden unbemerkt, sammeln sich in Mitteldeutschland Tausende von jungen Menschen, die sich selbst als "rechts" bezeichnen zu Großkundgebungen, um "Arbeit für Deutsche" und "nationale Solidarität" einzufordern. Sie fühlen sich vom bundesrepublikanischen System nicht vertreten, sie wollen etwas anderes. Für sie ist nichts uninteressanter als die fast ausschließlich aus dem Westen kommenden Hotel-Debattierer. "Blödes Gequatsche" antwortete kürzlich ein Schweriner Abiturient, auf diese Diskussionen angesprochen. Er selbst bezeichnet sich als "rechts". Also laut Roland Wehl ein asozialer Frühkapitalist, der menschenverachtend und tumb NS-Opfer verhöhnt. Doch "rechts" meint für den Schweriner eine starke emotionale Bindung an Begriffe wie Heimat, Familie, Gemeinschaft und auch Ehre und Ehrlichkeit. "Links" meint für ihn kaltes, rationalistisches und gleichmacherisches Denken, "dem in diesem Jahrhundert schon zu viele Menschen zum Opfer gefallen sind".

Es dämmert wohl jedem. Die Debatte an sich ist nicht nur überflüssig, auch inhaltlich hinkt Roland Wehls Text. Er wäre gut beraten, sein eigenes Menschenbild zu korrigieren, selbst nach Mitteldeutschland zu fahren und die jungen Leute mit seinen Gedanken zu konfrontieren. Wie würden sie wohl reagieren, wenn ein Schlips-und Kragen-Wessi ihnen was über das "Nationale" und "Soziale" erzählen wollte? Wer seine Intention verstehen will, sollte seinen Aufsatz lesen, der kürzlich im Ex-SED-Organ Neues Deutschland erschienen ist. "Die antinationale Haltung der Linken hat immer nur der Rechten genutzt", bedauert Roland Wehl dort. Soso. Ein Satz, der seine tatsächlichen Prioritäten verrät. Es geht nicht um die Nation und einen geläuterten Patriotismus, sondern um eine inhaltlich bankrotte Linke, die es wieder "aufzubauen" gelte. Das Nationale wird dadurch reines Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger. Und was ist eine Debatte mit der Linken wert, wenn sie inhaltlich bis auf Nuancen mit ihr übereinstimmt? Was da so selbstgefällig als "nonkonform" und "zwischen allen Stühlen sitzend" daherkommt, ist in Wirklichkeit der ungeschickte Versuch, bei einer etablierten Linken zu punkten. Annäherung durch Anbiederung? Diskussion und Meinungsaustausch müssen sein. Aber zu welchem Preis? Roland Wehls Verniedlichung der Umerziehung als "naives pädagogisches Programm" könnte jedenfalls auch einem rot-grünen Schulbuchverlag entsprungen sein. Oder weiß er einfach nicht Bescheid? Und was sollen seine Einlassungen zum NS-Widerstand? Roland Wehl fragt: "Was hat diese Rechte getan, um das Andenken auch des nationalen Widerstandes zu bewahren, dem Rechte und Linke angehörten?" War es nicht ausschließlich die demokratische Rechte, die den 20. Juli und seine Opfer unverzerrt würdigte? Wer sich mit Stauffenberg auch nur oberflächlich beschäftigt hat, weiß, daß er niemals eine links-liberale Bundesrepublik heutiger Prägung gewollt hat. Es waren nicht die etablierten Organisationen, die "Hitlers rechte Gegner" (Claus-M. Wolfschlag) ausführlich würdigten und schon gar nicht die PDS und die Grünen. Weiß Roland Wehl das etwa nicht? Oder weiß er es nur zu genau?

Der Vorwurf der Verwendung "klassisch rechter Stereotypen" mag ja ab und an berechtigt sein. Doch disqualifiziert sich Roland Wehl nicht selbst, wenn er diesen mit klassisch linken Stereotypen antwortet? Propagiert er damit nicht exakt das, was Rolf Stolz in der JF als "plattes Freund-Feind-Schema" bezeichnet hat?

Schlußendlich stellt sich die Frage, wem diese Debatte nutzt und wem sie schadet. Die Realität spricht eine andere Sprache als Roland Wehl. "Rechte" Parteien stehen bereit zum Sprung in die Parlamente, ein Drittel aller mitteldeutschen Jugendlichen kann sich vorstellen, "rechts" zu wählen. Die Frankfurter Allgemeine bestätigte kürzlich die Existenz einer wachsenden "rechten" Jugendkultur. Roland Wehl wird von den Ereignissen überholt. Der Autor macht nichts weiter, als die Schein-Argumente der Etablierten in das "rechte Lager" hineinzutragen; daran ist nichts nonkonform.

Eine politische Avantgarde, die diesen Namen verdient, muß sich endlich von den altertümlichen politischen Platzzuweisungen trennen und darf sie nicht wiederbeleben wollen. Für Roland Wehl bedeutet die "Nation" offensichtlich nur ein nützliches Element für eine programmatisch brachliegende Linke. Dem tatsächlich national verantwortlich denkenden Menschen sollte sie dafür allerdings zu schade sein.


 
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