© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/98 25. September 1998

 
Kulturtagebuch: Interview mit Wilfried Böhm über das Deutschlandlied
"Wir brauchen keine neue Hymne"
von Thorsten Thaler

Herr Böhm, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Werner Schulz, hat sich für eine neue deutsche Nationalhymne ausgesprochen. Brauchen die Deutschen tatsächlich eine neue Hymne?

Böhm: Das ist ein unsinniger Vorschlag. Es gibt keine bessere Nationalhymne als "Einigkeit und Recht und Freiheit". Dieses Lied hat die Deutschen durch alle Höhen und Tiefen ihrer Geschichte in den letzten 150 Jahren begleitet. Dabei soll es bleiben.

Die erste Strophe der deutschen Nationalhymne werde von "Rechtsradikalen" gesungen und die dritte Strophe nur von Konservativen, begründete Schulz seinen Vorstoß.

Böhm: Das halte ich ebenso für großen Unfug. Es ist immerhin eine Sache der Linken, die Hymne mitzusingen. Wer sie singt, entscheidet jeder für sich selbst. Wer keine Achtung und keinen Respekt vor der Nationalhymne hat und sie nicht singt, der kann nicht einfach sagen, nun will ich eine andere haben. Das bedeutet ein Ausscheren aus dem nationalen Veranwortungsbewußtsein.

Schulz schlägt die "Kinderhymne" von Brecht vor. Wäre das nicht eine denkbare Alternative?

Böhm: Ich denke überhaupt über keine Alternativen zum Deutschlandlied mit "Einigkeit und Recht und Freiheit" nach. Wir haben eine Hymne und brauchen keine neue.

Der Forderung steht im Zusammenhang mit dem sogenannten Hymnen-Streit anläßlich des Jahrestags der deutschen Einheit. Was halten Sie von der Verschmelzung der Nationalhymne mit der früheren DDR-Hymne?

Böhm: Das ist kein Hymnen-Streit, sondern hier handelt es sich um eine Collage, in der Haydns Melodie ebenso erklingt wie die Melodie der Hymne der früheren DDR. Solange diese Melodien nicht als Nationalhymne gespielt werden, kann man gegen eine solche Collage, die dazu anregen soll, über die Geschichte Deutschlands nachzudenken, überhaupt nichts einwenden. Das ist Unsinn, denn man soll dabei auch bedenken, daß Honecker den Text der Hymne der DDR nicht mehr hören wollte. Es war gewissermaßen ein Akt des Widerstands, den Text von "Deutschland einig Vaterland" zu singen. Um über alle diese Dinge einmal nachzudenken und sich vor allem mit Jugendlichen darüber zu unterhalten, dafür ist eine solche Collage durchaus ein geeignetes Mittel.

Wie bewerten Sie die Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, an dem Festakt in Hannover am 3. Oktober nicht teilzunehmen, wenn dort diese Collage erklingt?

Böhm: Ich kann es überhaupt nicht fassen, daß der von mir geschätzte bayerische Ministerpräsident einen solchen Schritt gehen will.


 
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