© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Ernst Ulrich von Weizsäcker
Renommierter Hinterbänkler
Gerhard Quast

Daß Funktionäre von Umweltverbänden die ihnen zugewiesene Rolle als "ökologisches Gewissen" aufgeben und eintauschen gegen einen Platz auf einer Regierungsbank hat durchaus Tradition: In der Hochphase der Anti-Atom-Bewegung wechselte der Sprecher des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Jo Leinen, überraschend auf den für ihn geschaffenen Posten eines saarländischen Umweltministers. Nicht weniger überraschend war der Positionswechsel bei Greenpeace-Vorstandsmitglied Monika Griefahn. Sie übernahm 1990 in Hannover einen Ministersessel und ist seither für die Umweltpolitik Niedersachsens verantwortlich. Selbst der ausgewiesene Kritiker der Chemieindustrie, Fritz Vahrenholt, kam als Umweltsenator in der Hansestadt Hamburg unter.

Auch der angesehene Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, Sohn des bekannten Physikers und Philosophen Carl Friedrich und Neffe des frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, hat seine parteipolitische Neutralität längst aufgegeben. Der 59jährige Gründungsdirektor des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie trat schon 1966 der SPD bei. Immer wieder fiel sein Name, wenn es darum ging, Ministerposten zu besetzen. Spätestens mit der Gründung des Wuppertal-Instituts begab sich der renommierte Biologieprofessor und langjährige Direktor des Institus für Europäische Umweltpolitik vollends in eine parteipolitische Abhängigkeit, schließlich untersteht die mit sieben Millionen Mark jährlich ausgestattete und über nahezu 100 Mitarbeiter verfügende Forschungseinrichtung direkt dem Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalens.

Sichtbar wurde sein parteipolitisches Engagement spätestens, als er im Frühjahr seine Kandidatur für den Bundestag ankündigte. Trotz Zweitplazierung im Stuttgarter Süden war sein Einzug in den Bundestag kaum gefährdet. Ein sicherer Listenplatz machte es möglich.

Warum der glänzende Analytiker und Wissenschaftsautor ("Erdpolitik", "Faktor Vier") nun die Seiten gewechselt und lieber als Hinterbänkler – der Posten des Umweltminister wird den Bündnisgrünen zugestanden – arbeiten will, darüber läßt er keine Zweifel: Er wolle nicht länger nur seine mahnende Stimme erheben, sondern das Heft selbst in die Hand nehmen und im Finanzausschuß eine ökologische Steuerreform mitgestalten. Im 21. Jahrhundert werde sich auf den Weltmärkten nur derjenige durchsetzen können, der energie- und umwelteffizient wirtschaftet. Eine "Effizienzrevolution" im Umgang mit den immer knapper werdenden Ressourcen sei technisch möglich. Nur die notwendigen politischen Rahmenbedingungen – sprich: eine Ökologisierung des Steuersystems – seien notwendig. Diesem Ziel wird sich der frischgebackene Abgeordnete wohl in erster Linie widmen.


 
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