© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
Energie: Greenpeace beantragt "Blauen Engel" für Stromerzeugung
"Stromwechsler" formieren sich
von Gerhard Quast

Horno hat aufgehört zu bestehen. Am Sonntag der Bundestagswahl verlor die vom Braunkohle-Tagebau bedrohte Ortschaft in der Niederlausitz ihren Gemeindestatus und wurde gegen den Willen ihrer Bewohner einer Nachbargemeinde angegliedert. In den nächsten fünf Jahren sollen die Einwohner ihr deutsch-sorbisches Dorf verlassen, die Häuser den Schaufelbaggern weichen.

Noch am Freitag vor Inkrafttreten der Eingemeindung beschloß deshalb der Gemeinderat der weit über Brandenburg hinaus bekannt gewordenen Kommune, die kürzlich von Greenpeace gestartete "Aktion Stromwechsel" zu unterstützen. Die Umweltschutzorganisation will mit dieser Kampagne einer umweltfreundlichen Energieversorgung zum Durchbruch verhelfen. In den Augen der Umweltschützer heißt das: Ausstieg sowohl aus der Atom- als auch der Kohlewirtschaft. Nach ihren Berechnungen könnte sich der umweltfreundliche Strommix der Zukunft zusammensetzen aus 50 Prozent hocheffizient erzeugtem Strom aus gasbefeuerten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und 50 Prozent aus erneuerbaren Energien (Biomasse, Wasserkraft, Wind- und Solarenergie).

Da durch die Liberalisierung des Strommarktes die seit 63 Jahren bestehenden Gebietsmonopole abgelöst seien und jeder Verbraucher nun seinen Stromversorger frei wählen könne, so Gero Lücking, Greenpeace-Energieexperte, könne auch die Art der Stromerzeugung direkt beeinflußt werden. Der Stromkunde müsse lediglich zu einem umweltfreundlichen Energieversorger wechseln. So die Theorie. Die Praxis sehe allerdings anders aus: "Der Schlüssel zum freien Markt liegt nämlich in den Nutzungsmöglichkeiten der Stromnetze". Die Netze seien jedoch noch immer im Besitz der ehemaligen Monopolisten, d.h. die Kontrolle bleibe letztlich bei den Gebietsmonopolen, die durch "ungerechtfertigt hohe Netzgebühren" Konkurrenten ausschalten könnten. Eine zufriedenstellende Regelung der Durchleitung sei unter der alten Regierung auf Druck der Strombranche unterlassen worden, so der Energieexperte Lücking.

Greenpeace gibt sich – zumal nach dem Regierungswechsel – trotzdem optimistisch. Die Umweltschützer versichern, daß eine Vollversorgung mit "sauberem Strom" für das kommende Jahr realistisch sei und sammeln bereits potentielle "Stromwechsler", die sich bereit erklären, ihren Strom von einem "grünen" Stromversorger zu beziehen. Schon hätten sich mehrere tausend "Stromwechsler" gemeldet, versichert die Zentrale in Hamburg. Auch mit Stromversorgern stehe die Umweltorganisation bereits in Verhandlung.

Den "sauberen Strom" möchten die Hamburger nun auch als Qualitätsmerkmal bestätigt wissen. Beim Umweltbundesamt (UBA) haben sie am vergangenen Freitag den "Blauen Engel" beantragt. "Jetzt muß die anerkannte Jury des Umweltzeichens entscheiden, welcher Strom wirklich ein Umweltsiegel verdient", erklärte Gero Lücking bei der Übergabe des Antrags an UBA-Präsident Andreas Troge. Sollte die unabhängige Jury zustimmen, würde zum ersten Mal das Produkt Strom den "Umwelt-engel" erhalten. Ob allerdings die von Greenpeace angemahnte Energiewende für Horno – ein Symbol für den Widerstand gegen eine verfehlte Energiepolitik in Bund und Ländern – noch rechtzeitig kommen wird, bleibt abzuwarten.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen