© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/98  09. Oktober 1998

 
 
CD Pop
Kühle Dekade
Holger Stürenburg

Nachdem Modern Talking mit einer fürchterlichen Neuaufnahme ihres 85er-Erstlingshits "You’re my Heart – You’re my Soul" einen erneuten Hit erzielten, kommen nun die Plattenfirmen auf die Idee, ihre Archive nach Pop-Perlen der kühlen Dekade der 80er Jahre zwischen wehmütigem New Wave, Neonbar-gestähltem Exklusiv-Pop oder verspielten Synthi-Klängen zu durchstöbern und das alte Material klanglich erneuert auf den Markt zu werfen.

Das Synthi-Trio Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) und die depressiv-hoffnungsvolle, meist akustisch agierende britische Band Talk Talk veröffentlichen in den kommenden Wochen neue CDs mit vielen ihrer damaligen Hits. Bei Virgin gibt es nun "The OMD Singles", eine klanglich aufgebesserte Sammlung der wichtigsten wie erfolgreichsten Single-Titel des Trios aus den 80ern. Sämtlichen Phasen OMDs wird gehuldigt: Los geht’s mit fast hitparadenfeindlichen Düster-Synthi-Hymnen der Sorte "Messages" oder "Enola Gay" aus dem Jahre 1981, bevor mit "Joan of Arc" und dem damaligen Langzeit-Tophit "Maid of Orleans" erstmals ein Blick in Richtung einlullenden Pops sichtbar wird. Mitte der 80er waren OMD eine anerkannte Tanzband mit feinen kleinen Popoden wie "Talking loud and clear", "So in Love" oder "Dreaming"; kurze, fein arrangierte Popsongs, zu denen Teenager kreischten und Sektkelch-Yuppies die neuesten Börsenkurse diskutierten. 1991 zeigte sich die Band ein letztes Mal in den Hitlisten: Hits wie "Call my Name" oder "Pandora’s Box" präsentierten zwar immer noch die weichen Melodien mit Ohrwurmcharakter, ließen aber offen, ob OMD weiterhin als perfekt arrangierende Pop-Band verstanden werden oder den Schritt in Richtung Techno und Dancefloor wagen wollten; Popstile, die damals gerade in den Kinderschuhen steckten.

Talk Talk bieten auf ihrer Hitsammlung "A Sides B Sides" nicht nur sämtliche Hits ihrer Pop-Phase zwischen 1982 und 1986, sondern auch lange verschollene, einst nur auf Vinyl erschienene Demo-Fassungen, Alternative-Mixes, Akustik-Versionen sowie nahezu alle B-Seiten der damaligen Hitsingles. Ein sehr informatives Beiheft mit allen wichtigen Daten und Fakten zu Musik und Geschichte der Band um den scheinbar ewig depressiven Mark Hollis ergänzt die neu abgemischten Hits aus den 80ern. Waren erste Singles wie "Talk Talk" oder "My foolish Friend" zunächst ausschließlich in Großbritannien erfolgreich, so untermalten opulent-pathetische Pop-Hymnen wie "Such a Shame" oder "It’s my Life" erste Liebe und in den Sand gesetzte Mathematikarbeiten auch hierzulande. Doch bereits Ende 1985 präsentierte sich die Band mit ihrer Single "Life’s what you make it" als eher jazzorientiertes Akustikorchester. Diese Linie wurde auch 1986 mit Hits wie "Living in Another World" oder "Happiness is easier" fortgesetzt, bis Talk Talk 1988 den Hitparadenmarkt verließen und mit esoterischer Synthi-Pampe auch den letzten Fan abstießen.

"A Sides B Sides" sei vor allem jenen Menschen empfohlen, die vielleicht ihre alten Vinyl-Scheiben der Band endlich in digitaler Qualität vorliegen haben wollen. Andere sollten ruhig ebenfalls zulangen, schon um dem inzwischen zum Freejazz-Aktivisten abgehobenen Mark Hollis das Tantiemenportemonnaie zu füllen, so daß er vielleicht nicht mehr ganz so verschreckt in die Welt blickt, als würde er sich gleich vor den nächsten Zug werfen wollen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen