© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Alter Garnisonfriedhof: Wo preußische Geschichte wieder lebendig wird
Eingerückt ins ewige Vaterland
Werner H. Krause

Der Alte Garnisonfriedhof in der Kleinen Rosenthaler Straße im Berliner Stadtbezirk Mitte spiegelt ein Stück Zeitgeschichte wider, das aufs engste mit dem preußischen Staat verknüpft ist. Beinahe wäre das Schicksal dieses Friedhofes zu DDR-Zeiten besiegelt gewesen. Zunächst hatte man ihn nahezu zwei Jahrzehnte der Verwahrlosung überlassen. Viele der mit gußeisernen Kreuzen versehenen Grabstätten wurden entwendet oder mutwillig zerstört. Schließlich herrschte die Absicht, diesen Friedhof, der auf eine über 300jährige Geschichte verweisen kann, vollends einzuebnen und an seiner Stelle eine Art Wohngebietspark anzulegen.

So machten sich dann auf dem Friedhof die Bulldozer zu schaffen, die über 300 der insgesamt 480 Grabdenkmale plattwalzten. Doch dann wurden sie wieder abgezogen, weil sie dringend an anderer Stelle benötigt wurden. Eine veränderte Einstellung gegenüber der preußischen Geschichte, zu der es im Verlaufe der Honecker-Ära kam, bedeutete schließlich die Erhaltung des Alten Garnisonfriedhofes buchstäblich in letzter Minute.

Menschen, denen daran gelegen war, den weiteren Verfall des Friedhofes abzuwenden, schlossen sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, die viele Stunden auf die Pflege und Restaurierung der Grabstelle verwandten. Nach der Wende ist diese Tätigkeit weitgehend zum Erliegen gekommen, was im Widerspruch zu dem wachsenden Interesse steht, das der Garnisonfriedhof vielerseits findet. Seit vier Jahren gibt es einen Förderverein, der sich darum bemüht, finanzielle Mittel für den Erhalt des Friedhofes zu erschließen, da angesichts der in der Stadtkasse waltenden Ebbe von dort nicht viel Hilfe in Aussicht gestellt wird.

Wer sich während eines Gangs über den Friedhof der Mühe unterzieht, die einzelnen verblichenen Grabinschriften zu entziffern, dem tut sich ein tiefer Blick in die preußische Geschichte auf. Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten, die hier beigesetzt sind, gehört u.a. Carl Friedrich von dem Knesebeck, der am 5. Mai 1768 in Carwe bei Neuruppin geboren wurde und im Alter von 14 Jahren in das friederizianische Heer eintrat. Knesebeck vereinte in seinem Leben militärische und literarische Ambitionen. Während seiner Garnisonszeit in Halberstadt trat er dort einer literarischen Gesellschaft bei, unterhielt Kontakte zu Heinrich von Kleist. Später gehörte er dem preußischen Generalstab an, unterstand hier während der Kämpfe gegen Napoleon dem russischen General Bennigsen.

1813 wurde er als Generalmajor mit der Aufgabe betraut, an der Ausarbeitung der Operationspläne für die Feldzüge 1813/14 mitzuwirken, welche die Befreiung vom napoleonischen Joch zum Ziel hatten. Späterhin wurden ihm immer häufiger auch diplomatische Missionen überantwortet. Seit 1817 gehörte er dem preußischen Staatsrat an. Als er am 12. Januar 1848 verstarb, wurde ihm zu Ehren eine dreitägige Armeetrauer angeordnet.

Das Grabmal für den preußischen Generalleutnant der Artillerie Conrad Ferdinand von Holtzendorff trägt die Handschrift Schinkels, wie überhaupt viele der berühmten Berliner Bildhauer zum Antlitz des Garnisonfriedhofes beigetragen haben. Die noch ziemlich guterhaltene Grabstätte weist ein Bronzerelief auf, wo in einer allegorischen Darstellung die Siegesgöttin Victoria abgebildet ist, die auf einer Lafette sitzend, in das Buch der Geschichte die Schlachten einträgt, an denen der preußische General zwischen 1795 und 1815 teilnahm.

Der legendäre Führer der Schwarzen Freischar während der Befreiungskämpfe gegen Napoleon, Adolph von Lützow, wurde ebenfalls auf dem Garnisonfriedhof zur letzten Ruhe gebettet. Einer der für ihn errichteten Gedenksteine stammt von seinen Waffengefährten. Auch eine der schillerndsten Persönlichkeiten, die während der Befreiungskriege in den Reihen der Freiwilligen Jäger focht, zugleich nationale Liedtexte schrieb und auch durch seine romantische Dichtung "Undine" bekannt wurde, die E.T.A. Hoffmann wie Albert Lortzing vertonten, Friedrich Heinrich Carl Baron de la Motte Fouqué, liegt hier begraben.

Fouqué entstammte einer adligen Hugenottenfamilie. Sein Großvater zählte zu den engsten Vertrauten Friedrich II., dessen Armee er als General angehörte. Friedrich II. war einer der Taufpaten des Enkels. Fouqué lebte später auf dem Rittergut Nennhausen im Havelland zusammen mit seiner Frau Caroline von Briest. Er verstand es, Nennhausen zu einem Zentrum der Romantik zu machhen.

Weitere große Namen, die auf dem Friedhof die Blicke auf sich lenken:Ernst Ludwig von Tippelskirch, einstmals Stadtkommandant von Berlin, Generalleutnant von Brauchitsch, der das gleiche Amt innehatte. Der Garnisonfriedhof entstand zu einer Zeit, da sich Kurfürst Friedrich Wilhelm, der später in die Geschichte als der Große Kurfürst einging, 1655 dazu entschied, die bisherigen Söldnertruppen in ein stehendes Heer umzuwandeln, weil er gegenüber den Schweden gewappnet sein wollte, die auch nach dem Ende des 30jährigen Krieges Brandenburg-Preußen weiterhin umklammert hielten.

Zur gleichen Zeit wurde auch der Bau einer Garnisonkirche veranlaßt, die um 1703 entstand. Sie war ein Bauwerk von äußerst markanter Gestalt, hatte ihren Standort am Spandauer Tor, besaß elf Portale, durch welche die preußischen Regimenter zur Teilnahme an Andachten geschlossen in die Kirche einrückten. Am 12. August 1720 explodierte der ihr gegenüber stehende Pulverturm, wodurch das sakrale Bauwerk derart schwer beschädigt wurde, daß nur noch sein Abriß übrig blieb. 1722 entstand eine neue Garnisonkirche, die im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört wurde. 1962 verfügte die DDR-Regierung ihren Abriß.

Eine der Beisetzungsstätten auf dem Garnisonfriedhof, die gewissermaßen den Abschluß des Gräberfeldes darstellt, bildet ein stiller Zementsockel. Er trägt die Inschrift: "Soldat Toni Feller, geb. 18.2.1927 gefallen 2. Mai 1945". Was ist aus seinem kurzen Leben übermittelt? Zusammen mit all seinen Mitschülern, welche eine Fliegertechnische Vorschule in Oschersleben nahe Magdeburg besuchten, wurde er im Herbst 1944 zu einer Pioniereinheit eingezogen. Nach dreiwöchiger Ausbildung erfolgte sein erster Einsatz in Jüterbog, wo die Einheit von sowjetischen Truppen eingeschlossen wurde. Einem Drittel der Kompanie gelang es, sich nach Zossen abzusetzen. Später wurden sie in Marienfelde von sowjetischen Panzern überrollt. Der nächste Einsatzort war der Flughafen Tempelhof, wo Toni Feller und einer seiner Mitschüler als einzige einen nächtlichen Bombenangriff überlebten. Zuletzt gehörte er zu den Verteidigern der Berliner Innenstadt; am Dönhoffplatz erlosch sein junges Leben, wenige Tage vor Kriegsende.

Gleitet der Blick von seinem Grab gegenüber auf eine Hauswand, die sich außerhalb des Friedhofes emporreckt, so schmäht da der von Kolonne Links verwendete Tucholsky-Spruch "Soldaten sind Mörder" all jene, die auf dem Garnisonfriedhof beigesetzt sind und ihr Leben für etwas einsetzten, das ihnen heilig war: ihr Vaterland.


 
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