© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Kinderbücher: Otfried Preußler zum 75. Geburtstag
Von Hexen und Zauberern
Geza Steeger

75 Jahre wird er am 20. Oktober alt, der Übervater der deutschen Kinderbuchliteratur, Otfried Preußler. Eigentlich wollte der Sudetendeutsche Professor in Prag werden. Doch der Zweite Weltkrieg kam ihm dazwischen, und so verbrachte er schließlich acht Semester hinter sowjetischem Stacheldraht. Aus der Gefangenschaft wurde er nach Rosenheim entlassen, wo seine Verlobte die vertriebene Familie gesammelt hatte.

Die persönliche Katastrophe von Krieg und Vertreibung ist für seine Leser zur Bereicherung geworden: aus Jelabuga brachte er russische Märchen mit, aus Böhmen die entwurzelten Hexen, Wassermänner und Gespenster seiner Kindheit und aus Krieg und Gefangenschaft den Wunsch, Kinder nicht mit den ungelösten Erwachsenenproblemen zu belasten. Als Geschichtenerzähler gewann der Volksschullehrer die Aufmerksamkeit seiner Schüler, und hätten seine drei Töchter sich mit dem Ausspruch "Böse Hexen gibt es nicht mehr!" zufrieden gegeben, die kleine Hexe hätte nie ihren Weg in andere Kinderherzen gefunden.

Die kleine Hexe verdient besondere Aufmerksamkeit. Über 40 Jahre ist sie alt, was für eine kleine Hexe ja kein Alter ist, hat sich von keiner Sprache der Welt aufhalten lassen, den bösen Hexen das Handwerk zu legen. Sie löste einen Hexenboom in der Kinderliteratur aus, der Hänsel und Gretels Hexe endgültig in den Ofen verbannte und dessen Ende mit der unsäglichen Bibi Blocksberg lange nicht in Sicht ist.

Der Hexe treue Gefährten sind der kleine Wassermann und das kleine Gespenst, alle namenlos und ausnahmslos ungefährlich. Preußler schrumpfte die Bösewichte auf Kindergröße und griff damit einer Forderung der 68er Bewegung voraus. Was nicht dazu führte, daß er nicht angegriffen worden wäre. Aber die Diskussion um Preußlers biedere obrigkeitstreue Phantasiegestalten konnte ihm nicht schaden. Schließlich lassen sich Kinder nicht von literarischen Quartetten beeinflussen.

Die Zauberei an sich beschäftigt Preußler immer wieder. Wahrscheinlich liegt das an seinen Vorfahren, von denen einer ein böser Hexer war, den der Teufel geholt hat, der andere hingegen seine Kunst nur zum Wohle seiner Mitmenschen einsetzte. Sogar im "Räuber Hotzenplotz" nehmen es die Helden Kasperl und Seppel mit dem bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann auf und besiegen diesen mit Hilfe der Fee Amaryllis. Ein Fehler, daß Petrosilius Zwackelmann einfach so ertrank, denn für die allseits geforderte Hotzenplotz-Fortsetzung fehlte ein zauberhafter Bösewicht, während für die gute Fee die hellsichtige Witwe Schlotterbeck mit dem dreifachen Doppelkinn einsprang. Im dritten Band schließlich wird der Räuber Hotzenplotz resozialisiert, und Amaryllis darf noch einmal kurz erscheinen.

Aber Preußler bietet auch ein unheimliches Kontrastprogramm. Als sein Buch "Krabat" 1972 erschien, irritierte diese düstere Geschichte seine Anhänger mehr als alle Kritik. Mitten in einer Zeit des kritischen Kinderbuchrealismus und lange bevor die Fantasy-Welle hereinbrach, befreit sich der wendische Waisenjunge Krabat aus der Zaubermühle seines bösen Meisters. In diesem Buch zeigt sich Preußlers literarische Meisterschaft: auf Namen wird weitgehend verzichtet, Personenbeschreibungen beschränken sich auf unveränderliche Kennzeichen, die Landschaften bleiben vage skizziert und Bedingungssätze, die Krux der Kinder-und Jugendliteratur, finden sich überhaupt nicht. Preußler erklärt nicht, er vertraut der Erzählung. So entwickelt sich ein spannender Roman über Schuld, Tod, böse Mächte, Kameradschaft, die Sicherheit des christlichen Glaubens und die alles überwindende Liebe. Dabei erfährt der Leser nie, wie Krabat nun eigentlich aussieht. Preußler schaffte damit ein klassisches Werk, welches auch dann noch seine Leser finden wird, wenn uns unsere aktuellen Sorgen nicht mehr drücken.

Preußlers nächstes großes Werk ist für Erwachsene gedacht. "Die Flucht nach Ägypten" führt Maria und Josef in das königlich-kaiserlich und katholische Böhmen. Preußler läßt nun alle Kinderbucheinfachheit hinter sich, indem er die Form eines Barock-Romans nachahmt und versucht, den Sprachduktus seines böhmischen Dialektes aufleben zu lassen. Es ist eine Liebeserklärung an seine Heimat und ein Bekenntnis zum Katholizismus. Er bleibt diesem Thema auch in der Geschichtensammlung "Mein Rübezahlbuch", im "Engel mit der Pudelmütze", den "Glocken von Weihenstetten" und in "Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern" treu. Und so wird Otfried Preußler weiterhin versuchen, seine Leser an seiner "Zuversicht über den Tod hinaus" teilhaben zu lassen.


 
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