© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/98  16. Oktober 1998

 
 
Kino: "Der Soldat James Ryan" bietet US-amerikanisches Pathos pur
Spielbergs Wochenschau
Hermann Künne

"Ich wollte nicht einen weiteren Hollywood-Film über den Zweiten Weltkrieg drehen, sondern endlich einmal einen wahrheitsgetreuen", erklärte Regisseur Spielberg anläßlich seines neuesten Streifens "Der Soldat James Ryan", der inzwischen als einer der heißtesten Oscar-Anwärter gehandelt wird. "Von Beginn an wußten wir beide, daß wir den Film nicht wie einen aufwendigen Technicolor-Film über den Zweiten Weltkirge aussehen lassen wollten, sondern mehr wie einen farbigen Wochenschau-Film der 40er Jahre", ergänzt Kameramann Janusz Kaminiski. Das mag durchaus gelungen sein. Der historisch leicht verdrehte Film lebt von special effects und dem guten Ruf, den sich Hauptdarsteller Tom Hanks in "Forrest Gump", "Philadelphia" und "Apollo 13" erworben hat. Wird der Film prämiert, dann sicher wegen seiner politischen Botschaft, die er transportiert und die in den USA seit 200 Jahren verkündet wird: Wir sind die Guten, gewinnen immer, und wer Widerstand leistet, hat kein Pardon zu erwarten. Und tatsächlich ist für die moralisierenden Drohgebärden seit "Schindlers Liste" keiner besser geeignet als Steven Spielberg.

Die Handlung beginnt in unseren Tagen. Ein alter Mann geht über einen Soldatenfriedhof in der Normandie. Vor einem Grab bleibt er stehen und erinnert sich an den 6. Juni 1944 – Omaha Beach. Die US-Amerikaner landen, um Europa vom Joch des Nationalsozialismus zu befreien. Als sie die Bunkerstellung stürmen, geschieht etwas, von dem Jan-Philipp Reemtsma uns weismachen will, daß es das eigentlich Typische für die deutsche Wehrmacht gewesen sei: Kriegsgefangene (hier Deutsche) werden ohne viel Federlesen erschossen.

Captain Miller (Tom Hanks) erhält sodann einen Sonderbefehl des US-amerikanischen Generalstabschefs. Er soll sich durch die deutschen Linien kämpfen, um den Gefreiten James Ryan von der 101. US-Luftlandedivision zu retten, dessen drei Brüder gerade im Kampf gefallen sind. Er macht sich mit einem Stoßtrupp auf den Weg und gelangt nach großen Mühen tatsächlich zu einem Gefreiten dieses Namens. Doch es ist nicht der Richtige, und so geht die Suche weiter. Unterwegs macht der kleine Trupp eine deutsche MG-Stellung nieder. Der einzige Überlebende auf deutscher Seite soll erschossen werden, entgeht aber seinem Schicksal, weil er den Namen des Schauspielers Clark Gable kennt, sich von Adolf Hitler distanziert und seinen Widerstand bereut. Dieser Schnellkurs in Sachen Umerziehung wird belohnt – schließlich ist man für das Gute und läßt ihn laufen. Das hätten die US-Helden besser nicht tun sollen, denn der Deutsche nimmt den Kampf wieder auf. Das Schicksal ereilt ihn später doch noch – gerecht muß es im Kino schon zugehen.

Schließlich ist man am Ziel: In einer französischen Kleinstadt mit einer strategisch wichtigen Brücke sitzen ein paar US-amerikanische Fallschirmjäger und warten auf die SS. Einer von ihnen ist der gesuchte Ryan, der sich jedoch nicht retten lasssen will. Da beschließen die Infantristen, zusammen mit den Fallschirmjägern trotz mangelnder Bewaffnung und spärlicher Munition die Stadt zu verteidigen. Zahlreiche Kraftfahrzeuge und eine komplette Kompanie Panzergrenadiere werden aufgerieben. Der im Kirchturm hockende Scharfschütze sagt immer einen Bibelspruch auf, bevor wieder einer der SS-Männer sein "gerechtes Ende" findet.

Die deutsche Übermacht drängt die US-Helden jedoch immer weiter auf die Brücke zurück. Am Ende sitzt Tom Hanks – bereits tödlich verwundet – auf der Straße und schießt tapfer mit seiner Pistole auf den letzten deutschen Panzer. Da geschieht das Wunder: Die US-Luftwaffe – sonst den ganzen Film über nicht sichtbar – greift ein und zerstört auch diesen letzten Panzer. Den Kompanie-Feigling, der seinen Kameraden im Nahkampf zuvor schnöde im Stich gelassen hatte, ergreift nunmehr der Mut; er erschießt den SS-Mann aus der MG-Stellungsszene. Captain Miller stirbt in der Gewißheit, die Stellung gehalten zu haben. Ryan hingegen überlebt und fragt – nunmehr wieder in der Gegenwart – seine Frau am Grab von Miller: "Sag mir, daß ich ein guter Mensch bin." Amerikanisches Pathos pur.

Im Bestreben, seriöse Detailtreue vorzuspiegeln, mixt Spielberg aus historischen Abläufen seinen Handlungscocktail, bringt aber als Nicht-Militär Landeabschnitte und eingesetzte Divisionen durcheinander. Dies wäre vielleicht eine Nebensache, würde damit nicht die Kernbotschaft des Film transportiert. Die 101. Luftlandedivision stand zum fraglichen Zeitpunkt nur mit älteren Reservisten und deutschen Fallschirmjägern im Kampf. Spielberg aber läßt sie gegen die 2. SS-Panzerdivision "Das Reich" kämpfen, und damit es auch die Schwerhörigen mitbekommen, wird dies gleich mehrfach erwähnt. Diese Einheit soll "das Reich" als Synonym für das Böse personifizieren. Kleiner Schönheitsfehler: Die Division "Das Reich" lag zum damaligen Zeitpunkt noch in Belgien, ihre Verlegung in die Normandie war erst Ende Juni abgeschlossen.

Kritik an dem Film kommt auch von Spielbergs Regisseur-Kollegen Paul Verhoeven: "Immer geht es um Amerikaner, die hinter den feindlichen Linien in Not geraten oder Gefangene heraushauen müssen. Jetzt wollen sie zeigen, was sie im Krieg gut gemacht haben." Dazu paßt, daß der Film trotz seiner Gewaltszenen ab 12 Jahren freigegeben ist. Der Verleih erklärt das mit dem "pädagogischen Effekt" des Films.


 
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