© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Flucht ins Ausland
von Georg Bensch

Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist schlecht. Da gibt es nichts zu beschönigen. Zwar wollen einige Politiker und Wirtschaftsverbände so etwas wie Anzeichen einer Wirtschaftsbesserung erkennen, doch ihre Sicht kann nicht mehr als ein Hoffnungswert sein. Denn solange deutsche Unternehmen Arbeitsplätze in Deutschland abbauen, Produktionsbetriebe ins Ausland verlegen und zunehmend im Ausland investieren, wird es keine wirtschaftliche Besserung geben.

1997 belief sich das Auslandsengagement deutscher Unternehmen auf über 51 Milliarden Mark. Auch 1998 haben wieder vermehrt Firmen Abschied von Deutschland genommen und ihre Produktion ins Ausland verlagert. Allein im ersten Quartal erreichten die deutschen Investitionen im Ausland schon nahezu zwölf Milliarden Mark. Nach Prognosen deutscher Wirtschaftswissenschaftler ist damit zu rechnen, daß 1998 mit gut 60 Milliarden Mark Direktinvestitionen erneut ein Anstieg zu verzeichnen ist. Damit setzt sich der Kapitaltransfer deutscher Unternehmen ungebremst fort. Das hat seinen Grund: Die hohen Steuerbelastungen und Lohnnebenkosten haben für die Unternehmer ein solches Ausmaß erreicht, daß die niedrigen Lohnkosten und flexiblen Arbeitsbedingungen insbesondere osteuropäischer Länder wie Tschechien, Polen, Ungarn oder Rumänien für Direktinvestitionen und Beteiligungen immer attraktiver werden.

Die Folgen sind absehbar: Arbeitsplatzabbau in Deutschland, bleibende Massenarbeitslosigkeit und starke Belastung der deutschen Sozialkassen. Angesichts dieses Szenarios verlieren immer mehr Deutsche das Vertrauen in die deutschen Unternehmer. Nach einer Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts reklamieren bereits 79 Prozent der Deutschen, daß sich die Unternehmen höchst unkorrekt und arbeitnehmerfeindlich verhalten.

Ungeachtet der katastrophalen Wirtschafts- und Haushaltslage in Deutschland, sind die Unternehmen trotzdem immer weniger bereit, für den Aufschwung und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft Opfer zu bringen. Sie setzen eher auf den lohnkostensenkenden ausländischen Investitionsvorteil, um risikolos ihre Gewinne zu machen. Und so gehen deutsche Firmen auch immer öfter im Ausland auf Einkaufstour. Mit 335 übernommenen oder neu aufgebauten Unternehmen wurde 1997 eine neue Rekordmarke erreicht.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden sich die Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen auch in den kommenden Jahren fortsetzen. Entwarnung kann nicht gegeben werden – zumal nach den sich abzeichnenden Weichenstellungen der zukünftigen rot-grünen Bundesregierung.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen