© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Corinna Harfouch
Ambitionierte Theaterfrau
von Jutta Winckler

Das Hamburger Amtsblatt für kritisches Dauerräsonnement, der Spiegel, nannte sie "Frau im Schatten" und zugleich "die einzige deutsche Darstellerin, die im Osten wie im Westen gleichermaßen ein Star" sei; ihr "Lebensthema" soll "der Untergang der DDR" sein, eine ebenso typische wie unzutreffende Projektion.

Corinna Harfouch, die Vierzigerin, ist jung genug, um das Ephemere, bloß Episodenhafte der sowjetischen Fremdherrschaft auch in ihrem persönlichen Lebensweg realisieren zu können. Der für ihre Film- und Theaterarbeit in der DDR ausgezeichneten Charakterdarstellerin verbleibt genug Zeit, an einer entscheidend wichtigen Zukunftsarbeit teilzunehmen: Wiederherstellung der kulturellen Souveränität der deutschen Nation.

Syberberg, Heiner Müller, Faßbinder, Herzog, Schleef, Reitz, Dorn und etliche Nachwuchsregisseure waren bzw. sind hier auf gutem Wege. Die Harfouch wurde, was sie ist, durch ihren Mentor Heiner Müller; in dessen Berliner Ensemble reifte ein ästhetischer Fundus, der erlaubte, ihrer DDR-Karriere nach der "Wende" von 1989 eine vereinigungsdeutsche folgen zu lassen. Nach ihrer Identität gefragt, sagt sie 1998: "Ich bin jetzt viel mehr bereit zu sagen, ich bin Deutsche, und werde dieser Tatsache Positives abgewinnen. Ich will nicht immer nur hassen. Ich sehne mich danach, auch stolz sein zu dürfen."

Es brauchte ein paar Jahre, bis ihr die Historisierung des DDR-Lebensabschnitts gelang; West-Offerten ließ sie abblitzen, lebte ihre Trauerarbeit (1991: "Zwischen Pankow und Zehlendorf" und "Der Tangospieler"; 1993: "Goldstaub"; 1994: "Bis zum Horizont und weiter") um den Verlust des Gewohnten. Dann aber entwand sie sich mehr und mehr den "antifaschistischen" Klischees jener Defa-Schinken, die sie in Babelsberg mitgestaltet hatte (1986: "Das Haus am Fluß"; 1988: "Die Schauspielerin"). Wie ihr dies gelang, ohne sich – wie z.B. Kollege Krug – gleich mit Haut und Haaren an den Westen zu verschachern, spricht für die Person, die Schauspielerin Harfouch steht eh außer Zweifel: "Die Wiedervereinigung war undenkbar. Was im Westen abging, das wollten wir erst recht nicht. Das Ziel eines Künstlers bestand darin, das System zu unterwandern. Das war unendlich einfacher als heutzutage. Freilich brauche ich keine Diktatur mehr, um mich in meiner Arbeit wohlzufühlen."

Jüngst gab die ambitionierte Theaterfrau in einer experimentellen Zuckmayer-Inszenierung den Fliegergeneral Harass; es folgte die Verkörperung von Eva Braun unter Casdorf, beide Rollen so intensiv präsentiert, wie es vergleichbar allenfalls Sofie Rois zuwege brächte. Hätte Götz George nicht zeitgleich Dr. Mengele mimen müssen, wäre er die Idealbesetzung für Evas Gatten gewesen. Im aktuellen Kinothriller "Solo für Klarinette" liefern sich die beiden schauspielerischen Genies ein sehenswertes Seelengefecht.


 
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