© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/98  23. Oktober 1998

 
 
Wolfgang Strauss: Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit
Gewaltiger Paradigmenwechsel
Holger von Dobeneck

In Rußland findet nach Öffnung der Archive eine tabulose Diskussion statt über Ursachen und Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges. Wolfgang Strauss faßt die neuen Erkenntnisse russischer Revisionisten markant zusammen. Danach plante Stalin einen Überfall auf Deutschland mit 8.000 Panzern im Juli 1941. Die Aufmarschvorbereitungen sollten erst am 15. Juli 1941 abgeschlossen sein. Damit wäre Hitler ihm nur wenige Wochen zuvorgekommen. Als das Unternehmen Barbarossa startete, befand sich die Rote Armee in einer großangelegten Umgruppierung, dies erklärt die Kesselschlachten und vernichtenden Anfangserfolge der deutschen Wehrmacht.

Schon im April 1939 soll Stalin in einer Rede vor Politbüromitgliedern mitgeteilt haben, er plane eine Expansion nach dem Westen. Er wolle die Deutschen und die Westmächte in einen gesamteuropäischen Krieg verwickeln. Der Schlüsselbegriff seiner Rede lautete "Sowjetisazija", was soviel bedeutet wie Sowjetisierung Europas. In einer weiteren Rede am 5. Mai 1941 vor sowjetischen Offiziersschülern bezeichnete Stalin den militärischen Vormarsch nach Westen als die logische Fortsetzung des kommunistischen Revolutionszieles, die Zerschlagung des kapitalistischen Systems.

Zu diesen Ergebnissen kommen immer mehr russische Forscher. Auch der renommierte deutsche Militärhistoriker Joachim Hoffmann kommt zu vergleichbaren Erkenntnissen wie vor ihm schon sein russischer Kollege Viktor Suworow. Dieser schreibt in einem Gedächtnisprotokoll: "Hitler ist Stalin mit einem mit gewaltigen Kräften vorbereitetem Angriff erwiesenermaßen nur kurzfristig zuvorgekommen." Das Schlüsseldokument, Stalins Rede vom 19. August 1939, wurde von der Historikerin Buschurewa im sowjetischen Sonderarchiv aufgefunden.

Schon Suworow hat auf diese Pläne hingewiesen mit einer nachvollziehbaren Begründung: Die Dislozierung der russischen Armee, die geheime Verlegung von Feldflugplätzen in den Westen, der Bunkerbau für Frontstäbe in Grenznähe, das Unterlassen des Baus von Panzersperren an der Westgrenze, all dies ergab nur Sinn, wenn für einen Angriffskrieg und nicht für einen Verteidigungskampf geplant wurde.

 

Wolfgang Strauss: Unternehmen Barbarossa und der russische Historikerstreit. Herbig, München 1998, 208 Seiten, kt., 39,90 Mark


 
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