© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Kurden: Syrien läßt die Kurdische Arbeiterpartei PKK fallen
Assad kapituliert gegenüber der Türkei
Peter Boßdorf

Seit einiger Zeit zerrt man meine Person in den Mittelpunkt, während es doch mit einem vorbereiteten Plan darum geht, eine umfassend neue Ordnung im Nahen Osten zu schaffen." Den Worten, mit denen Abdullah Öcalan das syrische Einlenken auf die türkischen Forderungen kommentierte, war eine gewisse Hilflosigkeit anzumerken. Eine in der kurdischen Geschichte paradigmatische Erfahrung mußte nun auch von ihm gemacht werden. Damaskus hatte ihn fallengelassen, das Wirken der Kurdischen Arbeiterpartei PKK aus dem Verborgenen in die Illegalität verbannt. Das war zwar nie undenkbar gewesen, kam aber doch überraschend. Dabei wurde wohl weniger die Intensität des syrisch-türkischen Interessengegensatzes unterschätzt als vielmehr die Entschlossenheit von Damaskus überschätzt, sich um jeden Preis zu behaupten. Wie es scheint, war die Androhung eines türkischen Militärschlages überzeugend genug, um Syrien das einzige Instrument aus der Hand zu nehmen, mit dem wenigstens indirekter Druck auf den feindlichen Nachbarn im Norden ausgeübt werden konnte. Die Kontrollmechanismen, mit denen Ankara sich nun ermächtigt, bei Bedarf Aktivitäten auf syrischem Territorium auf ihre Unbedenklichkeit hin zu untersuchen, kommen einer Kapitulation Assads gleich. Die Territorialansprüche gegenüber der Türkei, so man sie denn überhaupt noch wird erheben dürfen, verkommen von der Folklore zur Farce. Als Bittsteller um das Euphrat-Wasser wird man bemüht sein müssen, ein weiteres Entgegenkommen zu signalisieren. Dieses dürfte dann vielleicht Israel als türkischem Achsenpartner zugutekommen.

Öcalan irrt also nicht, wenn er argwöhnt, daß die kurdische Frage durch andere Fragen überlagert wird: Sie steht auf der Tagesordnung, aber nicht im Zentrum. Die türkisch-israelische Kooperation mit Billigung und Förderung der USA steht für den Versuch, Potentiale zusammenzuführen, gegen die vereint niemand in der Region mehr etwas auszurichten vermag. Der Preis, den die Türkei dafür erwarten darf, ist, daß sie die kurdische Frage dort, wo sie dazu in der Lage ist, in ihrem Sinne löst, ein Preis, den zu entrichten den Amerikanern wenig Mühe macht.

Wo Öcalan sich derzeit aufhält, ist noch unbekannt – sofern er an seiner Strategie festhält, sich vor allem als Politiker und nicht als Guerillaführer ins Spiel zu bringen, wird man es bald erfahren. Sollte er sich, wie er es behauptet, nicht in Syrien, sehr wohl aber "in Kurdistan" aufhalten, hätte er zwar reichlich Auswahl, aber nur eingeschränkte Wirkungsmöglichkeiten, es sei denn, ein anderer Staat in der Region nähme in Zukunft den Platz Syriens ein und gewährte ihm einen Schirm für seine Politik. Wer aber sollte sich zu dieser offenen Provokation bereitfinden?

Denkbar ist es, daß Öcalan in Libyen eine Zuflucht findet; eine solche ist ihm wiederholt angeboten worden. Von dort aus könnte er sich immerhin bemerkbar machen und seinen Führungsanspruch in der PKK erfolgreich durchsetzen. Die Fähigkeit, dem türkischen Staat in bewährter Art weiterhin empfindliche Schläge zu versetzen, dürfte jedoch deutlich gelitten haben. Ohne die auf syrischem Boden befindlichen Lager als Ruheraum und Absprungbasis für Kommandos sind militärische Operationen kaum vorstellbar, zumal die autonome kurdische Region im Nord-Irak als Alternative ausscheidet: Hier führen sich die Türken bereits als Herren auf, und hier sind die bestimmenden kurdischen Politiker vor Ort nicht gewillt, ihr fragiles Gebilde Öcalan zuliebe aufs Spiel zu setzen.

Die PKK wird in Syrien nicht mehr ausbilden und vor allem nicht mehr rekrutieren können. Auch wenn die Behauptung, daß syrische Kurden ihren regulären Wehrdienst eine Zeitlang in der PKK leisten durften, nicht mehr als ein Gerücht ist, so steht außer Zweifel, daß Damaskus nicht eingegriffen hat, wenn sich eigene Staatsangehörige Öcalan anschlossen – eine beachtliche Konzession vor dem Hintergrund, daß Syrien kein Interesse daran haben konnte, ein Kurden-Problem auch auf dem eigenen Territorium bewußt werden zu lassen.

War dies der schon mehrere dutzend Male behauptete Vernichtungsschlag gegen die PKK? Wohl kaum: Die Möglichkeiten, auf türkischem Staatsgebiet zu operieren, sind ihr zwar erschwert, aber nicht gänzlich genommen. Die Präsenz und der Bereitschaftsgrad der türkischen Truppen werden daher nicht deutlich gesenkt werden können, die Kosten dieses Engagements bleiben drückend. Die PKK kann die Lage weiter eskalieren lassen, sie kann den Tourismus empfindlich treffen, und sie kann die Nadelstiche des Partisanenkampfes in der kurdischen Provinz zum Terrorismus in den türkischen Metropolen steigern. Diese Strategie wird Öcalan zwar abblocken, solange er den bestimmenden Einfluß ausübt. Sie bleibt jedoch als Drohung vorstellbar und relativiert die türkische Freude über den errungenen Sieg.


 
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