© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/98  30. Oktober 1998

 
 
Kriminalität: Die Zigaretten-Mafia kostet den Fiskus jährlich 2,3 Milliarden Mark
Razzien sind an der Tagesordnung
Georg Bensch

Berlin ist neben Moskau, Warschau und Wien eine der wichtigsten europäischen Drehscheiben der Organisierten Kriminalität. Internationale Verbrechersyndikate wickeln hier ihre dubiosen Geschäfte ab. Zu den kriminellen Aktivitäten in der Spree-Metropole gehört der illegale Handel mit Zigaretten, der nicht mehr allein von Vietnamesen betrieben wird; längst mischen auch polnische und russische Banden mit. Sicherheitskreise sind gewarnt, daß ein neuer Bandenkrieg im Umfeld der illegalen Zigarettenhändler droht.

Es sind Milliardengeschäfte, die mit dem illegalen Verkauf unversteuerter Zigaretten gemacht werden. Die Zollämter schätzen den Steuerausfall für den deutschen Fiskus auf mindestens 2,3 Milliarden Mark jährlich. Es wurde errechnet, daß die Hintermänner der illegalen Straßenhändler an jeder verkauften Stange nahezu 20 Mark verdienen. An einer Lkw-Ladung mit 50.000 Stangen machen die Bosse der Zigaretten-Mafia somit einen Profit von nahezu einer Million Mark. Ein äußerst lukratives Geschäft, für das sich der Einsatz lohnt. Bisher lieferten diese Verbrechersyndikate die Glimmstengel an die Vietnamesen zum illegalen Weiterverkauf nur aus. Jetzt wollen die Bosse der Polen- und Russen-Mafia das komplette Geschäft in eigener Regie machen. Der Bandenkrieg auf deutschen Straßen ist vorprogrammiert.

Besonders in Berlin ist die Lukrativität des Zigarettenhandels sichtbar geworden, hier "verdienen" mehr als 6.000 Vietnamesen ihren Lebensunterhalt allein mit dem Verkauf unverzollter Zigaretten. Das Milieu profitiert in der deutschen Hauptstadt weitgehend von der Unübersichtlichkeit und den relativ schwachen Einsatzkräften der Polizei. Obwohl die Berliner Ordnungshüter von 1994 bis heute fast 20.000 Razzien gegen die vietnamesischen Verkäufer durchführten und dabei 75,5 Millionen Zigaretten beschlagnahmten, funktioniert der illegale Handel an rund 400 Straßenplätzen uneingeschränkt weiter. Dabei finden regelrechte Machtkämpfe um günstige Verkaufsstandorte statt, wobei selbst vor Mord und Totschlag nicht zurückgeschreckt wird. "In Berlin hat sich eine vietnamesische Unterwelt gebildet", so ein Zollbeamter, "die dem Gangstermilieu im Chicago der zwanziger Jahre nicht nachsteht". Und in der Tat: Auf den Straßen der Bundeshauptstadt sind nach polizeilichen Erkenntnissen bewaffnete Schmuggler und Straßenhändler keine Seltenheit mehr.

Die in Deutschland operierenden Schmuggler- und Verkaufsringe der Zigaretten-Mafia – die weitgehend in den Händen von Polen und Russen liegen, aber zunehmend auch unter Beteiligung von Deutschen ihr Unwesen treiben – arbeiten "generalstabsmäßig" in internationalen Strukturen, die in ihren vielfältigen Verflechtungen nur schwer zu durchschauen sind. Die Zigaretten-Mafia hat inzwischen ein gut funktionierendes logistisches System aufgebaut, mit dem sie die "heiße" Ware in Umlauf bringt. Zollfahnder gehen davon aus, daß über zentrale Verteilungszentren zwischen 30 und 40 zumeist vietnamesische Zwischenhändler beliefert werden.

Die Schmuggelware gelangt auf verschiedenen Wegen nach Deutschland. Entweder werden die Zigaretten in osteuropäischen Ländern in Lizenz hergestellt und von dort illegal über die Grenze geschafft, oder unversteuerte Ware, die angeblich für die Ausfuhr bestimmt ist, verschwindet auf dem Weg zur Grenze. Die Tricks der Schmuggler beschränken sich aber nicht nur auf Straßenfahrzeuge. Nach Feststellungen der deutschen Zollbehörden hat der Zigarettenschmuggel über den Bahn- und Schiffsverkehr zugenommen, wo die "heiße" Ware unter Tarnladungen oder in eigens präparierten Hohlräumen versteckt wird.

Mit Besorgnis registrieren die deutschen Sicherheitsbehörden, daß die Zigarettenschmuggler ihre Operationsbasen von Berlin aus immer weiter in den Westen Deutschlands verlegen. Verstärkt wird versucht, in Großstädten wie Frankfurt (Main), Düsseldorf, Köln oder Hamburg Fuß zu fassen. In den dicht besiedelten Wohnzentren der Städte hoffen die Bosse der Zigaretten-Mafia einen weiteren lukrativen Absatzmarkt vorzufinden.


 
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