© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Tierschutz: Allein in Dänemark ertrinken jedes Jahr 4.500 Schweinswale
Kleiner Wal in großer Not
Gabriele-Ulrike Böhmer/Ulrich Karlowski

Ein Sommertag am Strand vor der Insel Sylt. Bis auf das träge Plätschern der ruhigen See unter der flirrenden Glutsonne und den weit draußen auf seiner Luftmatratze treibenden Urlauber stört nichts die endlose Stille. Da zerteilen zwei dunkle Rückenflossen die Wasseroberfläche. Sie gehören zu Schweinswalen (Phocoena phocoena). Sehr viel mehr sieht man meist nicht von den scheuen Meeressäugern, die kaum an die Wasseroberfläche kommen und über deren Leben man bisher nur wenig wußte. Das Verhalten dieser einzigen Walart, die in deutschen Küstengewässern vorkommt, hat jetzt der Tierfilmer Hans-Jürgen Schütte ("In Sachen Natur") eingehend dokumentiert.

Die schwarzweißen bis 1,80 Meter großen Tiere mit der stumpfen Schnauze zeigten ein überraschend vielfältiges Verhaltensrepertoire. So war neben ihrem ausgeprägten Sozialverhalten bislang unbekannt, daß sie wie viele ihrer großen Verwandten in Gruppen von bis zu 20 Tieren gemeinsam jagen und gezielt Fischschwärme einkreisen. Auch ihre langanhaltenden Spielphasen mit Scheinkämpfen waren den Forschern ebenso neu wie die erstmalige Beobachtung einer Walmutter, die ihr gerade geborenes Junges mit einem sanften Schlag der Schwanzflosse aus dem Wasser befördert, um es zum schnelleren Schwimmen anzutreiben.

Schütte filmte das bei Sylt gestrandete Walbaby "Marko" in einer niederländischen Rehabilitationsstation und freilebende Tiere im norwegischen Sognefjord sowie im dänischen Belt Center, Kerteminde, wo die beiden 1997 aus einem Netz befreiten Wale "Freia" und "Eigil" für die Forschung trainiert werden. Versuche mit aufgespannten Netzen zeigten dabei, daß die Zahnwale, die mit Hilfe ihrer Echolot-Klicks mit den Ohren "sehen", trotz ihrer Wendigkeit und Schnelligkeit Probleme mit der Erkennung der Netze haben und ahnungslos hineinschwimmen. Somit gerät die Fischindustrie zur größten Bedrohung der früher auch Braunfisch genannten Meeressäuger, der im 19. Jahrhundert sogar in der Ems gesichtet wurden.

"Nach dem bisherigen Stand der Forschung ist die Beifangquote deutlich höher als ihre Geburtsrate, so daß die Bestände in Nord- und Ostsee ernsthaft vom Aussterben bedroht sind", sagt Meeresbiologin Petra Deimer von der Gesellschaft zum Schutz der Meeressäugetiere (GSM). Jedes Jahr ertrinken in dänischen Gewässern 4.500 Tiere in Bodenstellnetzen, die für Kabeljau und Steinbutt ausgebracht werden; mindestens 2.200 sind es in britischen Gewässern. Nach Hochrechnungen der GSM sterben in der Nordsee auf diese Weise jährlich mehr als 10.000 Schweinswale.

Zusätzlich gefährdet sind Schweinswale durch die hohe Schadstoffbelastung von Nord- und Ostsee, die sich vor allem in der Milch der Muttertiere konzentriert, aber auch durch die fischereiliche Übernutzung ihrer Nährfische. Denn die Kleinwale sind keine Kostverächter und stellen vornehmlich Dorsch, Hering und Seezunge nach.

Mittlerweile findet sich der Schweinswal in der Roten Liste der weltweit bedrohten Tiere wieder. Dabei könnte gerade Deutschland einen wichtigen Beitrag für ihr Überleben leisten, denn ihr ideales Aufzuchtgebiet ist das Areal zwischen Sylt und Amrum. Die GSM, der Internationale Tierschutz-Fonds (IFAW) und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD) fordern daher die Einrichtung eines Schutzgebietes. Damit tun sich aber einige Gemeinden und Verbände immer noch schwer. Eine von IFAW und GSM finanzierte Videodokumentation soll jetzt die Aufkärungsarbeit voranbringen.

Das Video "Kleiner Wal in großer Not" kann gegen eine Schutzgebühr von 15 Mark beim IFAW, Postfach 55 04 67, 22564 Hamburg, bestellt werden.


 
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