© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Koalition: Kritikpunkte der Unternehmerverbände an der geplanten Steuerpolitik
Das Ziel aus den Augen verloren
Ronald Schroeder

Er werde die Verringerung der Arbeitslosigkeit zur Meßlatte für den Erfolg seiner rot-grünen Regierungskoalition machen. Das betont Kanzler Gerhard Schröder immer wieder. Die vorgelegten Steuerreformpläne aber weisen in eine andere Richtung. Nicht daß man die dort gesetzten Prioritäten ablehnen müßte: Erhöhung des Kindergeldes um 30 Mark, steuerliche Nettoentlastung der "durchschnittlichen Arbeitnehmerfamilie" innerhalb von drei Jahren um 2.700 Mark (macht 75 Mark pro Monat; allerdings ohne Berücksichtigung der Mehrbelastungen aus der Erhöhung der Mineralölsteuer, der Heizöl- und der Strompreise), Rücknahme der Rentenreform mit dem geplanten niedrigeren Anstieg kommender Rentenerhöhungen, Begrenzung der Zuzahlungen in der Krankenversicherung, Leistungsausweitungen in der Pflegeversicherung, Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes in der Bauindustrie, die Neuregelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und gesetzliche Regelungen zur Arbeitsförderung für Frauen und Behinderte.

Wer die Zeit für gekommen hielt, die Belastung der Wirtschaft einmal auszutesten, wird an den Steuerplänen wenig Kritikwürdiges finden. Dann sollte man auch damit leben können, daß diese Leistungen fast ausnahmslos von den Selbständigen und mittelständischen Unternehmern finanziert werden, die durch Streichungen von Steuervergünstigungen mit über 40 Milliarden Mark belastet und mit weiteren Eingriffen des Staates in die unternehmerische Freiheit konfrontiert werden. Selbst vor Eingriffen in die Tarifautonomie schreckt die neue Bundesregierung nicht mehr zurück. Nur einen Schub an Neuinvestitionen und damit verbunden die Schaffung neuer Arbeitsplätze sollte man dann nicht erwarten. Hier ist dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, uneingeschränkt zuzustimmen: "Wie der Abbau der Arbeitslosigkeit mit einer Verschlechterung der Investititonsbedingungen für Unternehmen in Deutschland erreicht werden soll, bleibt das Geheimnis der neuen Regierung."

Selbst die im Koalitionsvertrag festgelegte Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge um 0,8 Prozent endete bereits als Rohrkrepierer: Schon einen Tag darauf wurden sie von den beiden Sozialpolitikerinnen Christine Bergmann (SPD) und Gunda Röstel (Grüne) korrigiert: In der ersten Stufe werde dieses Ziel vermutlich noch nicht erreich. Das Aufkommen aus der Ökosteuer (geschätzte zwölf Milliarden Mark 1999) werde zur Schließung von Finanzlücken und zur Finanzierung von Leistungsausweitungen benötigt und daher nicht zur Beitragssenkung zur Verfügung stehen.

Die massiven Proteste aus dem Unternehmerlager und aus den Verbänden des Mittelstandes haben Kanzler Schröder wohl dämmern lassen, daß über Arbeitsplätze nicht in Bonner Runden, sondern in den Unternehmen entschieden wird. Zu Recht befürchtet die neue Regierung nun, daß die Unternehmer Konsequenzen aus dieser Politik ziehen. Selbst Oskar Lafontaine sollte einleuchten, daß es sich beim Verlustvor- und -rücktrag, bei der Bildung von Rückstellungen, bei der Übertragung von aufgedeckten stillen Reserven oder bei der Teilwertabschreibung nicht um willkürliche Operationen "gutverdienender Abschreibungskünstler" handelt. Wer sie abschafft und einschränkt, verringert die Liquidität der Unternehmen. Er erschwert das erfolgreiche Überstehen von Verlustjahren.

Die Einschränkung des Verlustvortrages trifft vor allem Existenzgründer sehr hart. Die gar nicht erst geplante Senkung des Körperschaftssteuersatzes für ausgeschüttete Gewinne wird weiterhin ausländische Investoren abschrecken. Dann entstehen neue Arbeitsplätze entweder im Ausland, in der Illegalität (Schwarzarbeit) oder mit staatlichen Subventionen. Es bleibt abzuwarten, was die von Schröder angekündigten Nachbesserungen bringen. Vermutlich wird man den Unternehmen auf Kosten einer weiter zunehmenden Neuverschuldung etwas entgegenkommen, ohne an den Sozialleistungen zu rütteln. Oskar Lafontaine hat schließlich mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß ein Abbau der Staatsverschuldung nicht zu seinen vordringlichen Anliegen gehört. An einer noch ungehemmteren Schuldenpolitik hindern ihn aber die im Vertrag von Maastricht festgelegten Stabilitätskriterien und die Unabhhändigkeit der Europäischen Zentralbank. Daß er genau hier ansetzen wird, darauf deuten erste Stellungnahmen des neuen Finanzministers bereits hin.


 
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