© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Pankraz,
Gullivers Reisen und die Wonnen der Einbindung

Der neue deutsche Außenminister, hört man allerorten, sei "ein Mann der Kontinuität", ein "echter Schüler Helmut Kohls", auch er wolle vor allem eins: Deutschland "einbinden". Das Wort ist entlarvend. Sie könnten ja sagen: "Wir wollen sichere, loyale Allianzen mit unseren Verbündeten herstellen." Aber nein, sie wollen nichts herstellen, sie wollen vielmehr das Land, dessen Interessenvertreter sie doch eigentlich von Amts wegen sind, "einbinden", als handle es sich um einen Patienten der Neurologie, dem man nicht über den Weg trauen darf, der in die Gummizelle gesperrt gehört. Schöne Interessenvertreter!

Ob aber nun einbinden oder frei laufen lassen – es gibt konkrete außenpolitische Konstanten, an denen sich der Karat der jeweiligen Außenpolitik recht genau messen läßt. Da wäre zum Beispiel die Ost-Erweiterung von EU und Nato. Unter Kohl & Kinkel lief die Sache darauf hinaus, daß die Deutschen die Sache bezahlen und die anderen, die Amerikaner vor allem, einen Reibach machen. Die Deutschen sollten den Polen und den Tschechen Geld geben, damit diese sich modernste amerikanische Rüstungselektronik kaufen könnten. Wird solches Schema unter Joseph Fischer, dem überzeugten Pazifisten und Rüstungsgegner, geändert? Man wird sehen.

Kohl & Kinkel haben zu ihrer Zeit nie ernsthaft versucht, die deutsche Sprache innerhalb der EU neben Englisch und Französisch als zugelassene Amtssprache zu etablieren. Es ist grotesk: Das größte Land der EU, der mit einem riesigem Abstand größte Beitragszahler, mußte sich etwa im Europarat vor einem holländischen Delegierten anhören, Deutsch könne nie Amtssprache innerhalb der Gemeinschaft werden, "denn die Deutschen haben ja keine Kultur, aber nur wer Kultur hat, kann sprachlich zugelassen werden". Hier könnte der neue Außenminister so manches korrigieren.

Wie sehnt sich jener Reigen traditionell deutsch-freundlicher ostmitteleuropäischer Staaten, die Balten, vor allem die Esten, die Kroaten, auch die Ukrainer, danach, von der deutschen Diplomatie ein bißchen verwöhnt zu werden! Da müßte gar nicht gleich Geld fließen, da könnten schon etwas ausführlichere Staatsbesuche und freundliche Worte über privilegierte Beziehungen viel Gutes anrichten. Kohl & Kinkel haben dieses Kapitel bewußt ignoriert, entweder um "Freund Boris" nicht zu verärgern oder wegen befürchteter französischer Eifersüchteleien. Der große Einbinder Fischer könnte da neue Seiten aufschlagen.

Gewiß, das riesige Zentralmassiv heutiger Außenpolitik besteht in multilateralem Routinebetrieb, der zudem mehr Wirtschaftspolitik ist als klassisches Diplomatenparkett, im Grunde eine langweilige, wenig Glanz verheißende Angelegeneheit. Aber gerade deshalb käme es darauf an, wenigstens an den Rändern einige Glanzlichter zu setzen: fein dosierte Gesten, neuartige sprachliche Nuancen, interessante, witzige Repräsentanten auf den wichtigen Außenposten. All dies ist unter Kohl & Kinkel arg vernachlässigt worden. Das Ansehen des deutschen diplomatschen Corps wie der deutschen Außenpolitik überhaupt hat gelitten.

Und das liegt offenbar keineswegs nur an mangelnder Eleganz. Ein alter, gewiefter Diplomat, der seit kurzem in Pension ist und mit dem Pankraz in Bad Godesberg sprach, brachte es auf folgenden Nenner: "Bürokratie und Ideologie siegen über Organisationstalent und kühle Interessenwahrnehmung." Unser Außenhandel, so erzählte der alte Herr, werde durch die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik eher behindert als gefördert, wir hätten im Vergleich zu allen anderen Ländern die strengsten Gesetze und Auflagen und Verbote, und sie würden viel strenger überwacht und exekutiert als anderswo, und zwar keineswegs nur bei Rüstungsgütern. Die deutsche Außenpolitik wirke auf vielen Feldern schon kontraproduktiv zu den deutschen Wirtschaftsinteressen.

Bei solchen Auskünften kann einem angst und bange werden. Denn die neue Regierung, besonders ihr grün-ökologischer, wirtschafts- unfreundlicher Teil, in dessen Händen das Auswärtige Amt jetzt ist, wird die Auflagen und Verbote und Exekutionen vielleicht sogar noch verstärken. Was wird beispielsweise aus der deuschen Nuklear-Technologie, wenn die wirtschaftliche Nutzung der Kernkraft im eigenen Land verboten wird? Sie ist, wie man überall lesen kann, die höchstentwickelte der Welt und hat üppige Exportchancen. Werden grüne Zeloten dieses Geschäft kaputt machen?

Vom neuen Außenminister kursiert ein Buch über Außenpolitik, bei dessen Lektüre man den Eindruck gewinnt: Dieser Mann hat nicht die geringsten mentalen Wurzeln im eigenen Volk, er ist möglicherweise sogar sein Feind. Die ganze Schwarte ist jedenfalls eine einzige Mißtrauenserklärung gegen das Volk, dessen Interessen er nun in der Welt vertreten soll, es wird ausschließlich von außen betrachtet, und das Wort "Einbindung", das natürlich auch dort üppig vorkommt, gewinnt eindeutig die Bedeutung von Fesselung, Knebelung, willenlos machen.

Die Quintessenz des Buches lautet, wohlwollend formuliert: Deutschland, wenn man es schon nicht irgendwie in Rauch aufgehen lassen kann, muß außenpolitisch gefesselt, werden wie Gulliver, wobei es völlig gleichgültig ist, ob die Fesselnden Liliputaner oder selber Riesen sind. Wichtig ist einzig: fesseln, fesseln und noch einmal fesseln.

Wie man mit einer solchen Einstellung die Sprache des Landes, das man vertritt, seine Wirtschaft und seine Beziehungen zu Freunden fördern will, bleibt an sich ein Rätsel. Aber vielleicht hat der Minister inzwischen gelernt und lernt im Amt weiter dazu? Außenminister reisen ja viel, und auch Gulliver hat auf seinen vielen Reisen immer weiter dazugelernt. Seine Fesselung durch die geistigen Liliputaner blieb Episode, und am Ende verstand er sich blendend mit ihnen. Gutes Vorbild!


 
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