© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Schriftsteller: Der vereinigte PEN-Club hat einen schlechten Start erwischt
Tiefsitzende Verletzungen
Thorsten Thaler

Im Schatten der Vereinigungstagung der beiden deutschen PEN-Zentren, die ihren Zusammenschluß am vergangegen Wochenende in der Dreikönigskirche in Dresden nach jahrelangen Auseinandersetzungen um die Modalitäten der Fusion und – vor allem – um die Stasi-Vertrickungen von Mitgliedern des Ost-PEN formell vollzogen, hat die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft ehemalige DDR-Schriftsteller erstmals zu einem Forum über Selbstbehauptung in der Diktatur versammelt. An der viertägigen Veranstaltung in Wuppertal nahmen zehn Autoren an den Lesungen und Diskussionen unter der Überschrift "Zu Hause im Exil" teil. In einer "Hommage an die toten Freunde" lasen die Schriftsteller Texte jener Autoren, die ihr Recht auf ihre eigene Geschichte in der DDR wahrgenommen hätten und daran zerbrochen seien – bis hin zur physischen Vernichtung wie im Fall der Dichterin Inge Müller, die 1966 in der DDR Selbstmord beging.

"Man darf die NS- und die SED-Diktatur nicht gleichsetzen, aber auch auf keinen Fall den Fehler begehen zu meinen, daß die Diktatur in der DDR ein bißchen weniger schlimm gewesen ist", sagte in Wuppertal der Dichter und Essayist Rainer Kunze, der im November 1976 aus dem Schriftstellerverband der DDR wegen seines im Westen veröffentlichten Prosabandes "Die wunderbaren Jahre"ausgeschlossen worden war. Ein halbes Jahr später, im April 1977, mußte Kunze nach Repressionen des SED-Regimes gegen sich und seine Familie die DDR verlassen. Dem Ost-PEN war die erzwungene Übersiedlung des angesehenen Dichters indes ebensowenig eine Protestnote wert wie die Ausbürgerung seines Mitgliedes Wolf Biermann, der gegen Robert Havemann verhängte Hausarrest oder die Inhaftierung des Schriftstellers Jürgen Fuchs. Zu Recht stellte der im August 1977 mit 26 Jahren aus der DDR ausgebürgerte Fuchs am 14. Februar 1995 in der Berliner taz fest: "Wie viele Menschenrechtsverletzungen gab es in der DDR, die nicht zu Reaktionen des dortigen PEN-Zentrums führten! (…) Das PEN-Zentrum der DDR hat umfassend versagt und die internationale Charta verraten."

Auf dem gesamtdeutschen Vereinigungskongreß in der sächsischen Landeshauptstadt – mit jeweils zwei Gegenstimmen votierten die Mitglieder des westdeutschen PEN-Zentrums und des Ost-PEN für den Zusammenschluß – spielte der Umgang mit der Vergangenheit freilich keine Rolle mehr. "Der Streit war sicher kein Ruhmesblatt, aber ich bin froh, daß wir das jetzt hinter uns haben", gab der Generalsekretär des West-PEN, Johano Strasser, der diese Funktion auch im vereinten PEN-Zentrum ausübt, gleich zu Beginn der Tagung am Donnerstag in einem Radiointerview die Richtung vor. Auch der zum ersten gesamtdeutschen PEN-Präsidenten gewählte Schriftsteller Christoph Hein mochte mit Blick auf die Vereinigung lediglich einräumen, daß das Problem der Integration weiter existiere. "Die bestehenden Ost-West-Befindlichkeiten muß man berücksichtigen", erklärte der aus Schlesien stammende, in der DDR aufgewachsene Hein, der mit seinen Romanen "Der fremde Freund" und "Horns Ende", beide in den achtziger Jahren erschienen, eine kritische Haltung zum SED-Regime erkennen ließ. Über die Vereinigung sei in einem "schmerzhaften Prozeß" debattiert worden. Diese Möglichkeiten hätten die beiden deutschen Staaten nicht gehabt, meinte der 54jährige Schriftsteller. "Da mußte erst die Einheit erfolgen und die Diskussion fand nachher statt." Also Deckel zu, Debatte beendet?

Der fromme Wunsch könnte sich als Trugschluß erweisen. Zwar erklärte der scheidende Präsident des westdeutschen PEN-Zentrums, Karl-Otto Conrady, niemand könne dem West-PEN vorwerfen, er schließe sich mit "Handlangern der Stasi" zusammen. Eine Entscheidung über den Verbleib oder Ausschluß von zwei der umstrittensten PEN-Mitglieder – des Schriftstellers Erich Köhler und des langjährigen Leiters des Leipziger Reclam Verlages, Hans Marquardt – steht jedoch immer noch aus. Der heute 69jährige Köhler wurde seit 1972 von der Staatssicherheit der DDR als IM "Heinrich" geführt; er soll neben anderen seinen Schriftsteller-Kollegen Klaus Schlesinger bespitzelt haben. Der heute 78jährige Marquardt, der von 1961 bis 1987 den Reclam Verlag leitete, soll als IM "Hans" ebenfalls Zuträgerdienste für die Staatssicherheit geleistet haben.

Vor diesem Hintergrund erscheint es höchst fraglich, ob das "Kommt doch zurück!", das Christoph Hein in Dresden den Ausgetretenen zugerufen hat, Gehör findet. Zu tief dürften die Verletzungen bei ehemaligen Mitgliedern wie Jürgen Fuchs und Rainer Kunze, Herta Müller und Sarah Kirsch, Günter Kunert, Hans-Joachim Schädlich und Ulrich Schacht sein, als daß sie der Aufforderung zur Rückkehr in den deutsche PEN-Club nachkommen.

Daß es ihm ernst ist mit seiner Bitte, bekräftigte Hein noch einmal in einem Zeitungsinterview zwei Tage nach der Schriftstellertagung. Er bedaure die Austritte sehr, sowenig erstaunlich sie auch gewesen sein mögen, erklärte der neue PEN-Präsident. "Ich hoffe, daß einige von ihnen nach der jetzt einsetzenden Beruhigung von selber zurückkommen." Eine mögliche Antwort darauf hat ausgerechnet der in Köln lebende Schriftsteller Ralph Giordano schon im vorigen Jahr gegeben. In seinem Austrittsschreiben an den Präsidenten des West-PEN, Conrady, prophezeite er unter Hinweis auf die "Verhöhnung der in der DDR Verfolgten durch Verniedlichung des Verfolgungsapparates", einen alles andere als "klammheimlichen Exkulpierungsdrang selbst für Schwerbelastete" sowie eine "beleidigende Distanzierung" gegenüber DDR-geschädigten Schriftstellern: "In diesen PEN wird niemand der ehemals Desavouierten zurückkehren, nicht einer."


 
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