© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Vor 80 Jahren: Kaiser Wilhelm dankt ab – Deutschland wird Republik
Der "Marsch auf Berlin" fiel aus
Kai Guleikoff

Prinz Max von Baden telegrafierte nach seiner Ernennung zum Reichskanzler an den Chef der Obersten Heeresleitung, Paul von Hindenburg: "Muß die Oberste Heeresleitung einen militärischen Zusammenbruch erwarten?" Die umgehende Antwort klang ausweichend: "Die Frage kann nicht in derselben präzisen Weise, in der sie gestellt ist, beantwortet werden." Stunden danach jedoch die nüchterne Einschätzung, daß der Kampf abzubrechen sei, "um dem deutschen Volk und seinen Verbündeten nutzlose Opfer zu ersparen".

Geschehen am Donnerstag, den 3. Oktober 1918, im vierten Kriegsjahr. Das Heer bestand im Westen immer noch aus 2,5 Millionen Soldaten, und es wurde mehr französisches Territorium besetzt gehalten als 1917. Doch der Grad der Erschöpfung bei der kämpfenden Truppe verlangte nach einer Beendigung des Krieges. Lediglich die inzwischen in Frankreich aufmarschierten 1,5 Millionen amerikanischen Soldaten waren frisch, gut genährt und hervorragend ausgerüstet und bewaffnet. Ihre fehlende Kriegserfahrung forderte zwar oft äußerst schwere Verluste, doch diese wurden immer schnell durch Reserven ausgeglichen. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson konnte aus dieser Position der Stärke heraus am 23. Oktober 1918 fordern, die Monarchien als Staatsform beim Kriegsgegner abzuschaffen. Ein Tag später wurde bereits die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches verlangt. Die Habsburger Monarchie begann in ihre elf Nationalitäten zu zerfallen.

Im Streit zwischen Reichsregierung und Oberster Heeresleitung über den Fortgang des Krieges, stellte sich der Kaiser auf die Seite des Reichskanzlers. Am 26. Oktober 1918 wurde General Ludendorff durch Wilhelm II. entlassen und als Nachfolger General Groener ernannt. In der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober begannen die Meutereien der deutschen Hochseeflotte auf der Schillig-Reede vor Wilhelmshaven. Weder in der deutschen Armee noch in der Marine hatte es zuvor Vergleichbares gegeben. Radikale Vertreter der USPD und anderer antimonarchischer Gruppierungen versammelten sich am 2. November in Berlin, um den bewaffneten Sturz des Kaiser und seine Verhaftung nach sowjetrussischem Vorbild vorzubereiten. Wilhelm II. befand sich zu dieser Zeit im Großen Hauptquartier in Spa und wurde von hochrangigen Marine- und Heeresoffizieren bedrängt, "heroisch abzutreten" in der Tradition Friedrich des Großen im Siebenjährigen Krieg: "Hier müssen wir sie angreifen, entweder sie schlagen oder alle dableiben."

Doch der Kaiser befahl am 8. November General Groener seine Rückkehr nach Berlin "an der Spitze der zuverlässigen Fronttruppen" vorzubereiten. Groener orderte zum folgenden Tag 39 Truppenführer zur Besprechung nach Spa. Nur ein Kommandeur bekundete seine uneingeschränkte Zustimmung zum "Marsch auf Berlin".

General Groener mußte seinem Kaiser melden, daß "das Heer nicht mehr hinter ihm stehe". Aus der Reichshauptstadt meldete Prinz Max von Baden, daß die Ersatztruppenteile der Berliner Garnison sich am Generalstreik beteiligten und auch Soldatenräte gebildet hätten. Nach stundenlangen Telefonaten soll der Kaiser seiner Abdankung zugestimmt haben, mit dem Vorbehalt, König von Preußen zu bleiben. Gegen Mittag des 9. November 1918 verkündete der Reichskanzler, daß der Kaiser und König ebenso auf den Thron verzichtet habe wie der Kronprinz und daß ein Regent ernannt werde. Danach trat Prinz Max von Baden selbst zurück und ernannte Friedrich Ebert zum Reichskanzler. Daraufhin verließ Wilhelm von Preußen am Morgen des 10. November, gegen fünf Uhr, das Große Hauptquartier. Ohne jede Verabschiedung fuhr der Hofzug mit dem Exkaiser ins Exil auf Schloß Doorn.


 
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