© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Die Farbe der Rechten
von Hrvoje Lorkovic

Die Fähigkeit, sich richtig zu wenden, wenn Mutti "rechts" sagt, ist einem Kind nicht angeboren, sie wird mühsam eingeübt. Eine rechte politische Orientierung gilt oft als "eingefleischt"; auch denen, die als Rechte bezeichnet werden, fällt es jedoch nicht leicht, die Bedeutung des so gebrauchten Wortes zu deuten. Zu diesem Schluß muß jemand kommen, der die jüngste Rechts-links-Debatte in der JF verfolgt hat. Ähnlich muß es aber auch jenen gegangen sein, die nach einem einfachen Namen suchten, um die Orientierung bestimmter Gruppen von Parlamentariern zu bezeichnen. Sie halfen sich mit der Seite im Saal, auf der die Gruppen sich niedergesetzt hatten.

Die Rechts-links-Symbolik ist nicht die einzige, die im Gebrauch ist. Parteien – wie Bienenstöcke – werden auch mit Farben bezeichnet, wobei nur rot eine dauerhafte Verbindung mit "links" eingegangen ist, "rechts" dagegen mal mit weiß aber auch mit schwarz, gelb und braun. Man sieht es gleich: Rechts ist schillernder als links.

Es ist somit nicht überraschend, daß selbst diejenigen, die sich für Rechte halten, es meiden, den Begriff zu analysieren und mahnen, ihn nicht zu "zerreden" (Wiesberg). Ein "Zerredeverbot" ist natürlich noch kein Denkverbot. Wiesberg hat sich vorgenommen, den Gordischen Knoten mit einem Hieb zu durchtrennen. Rechts ist demnach alles, was Ordnung stiftet, wie Nationalität und Religion, links dagegen alles, wodurch Ordnung aufgelöst wird, was einen Entropiezuwachs entspricht. Leider ist auch dieses Konzept nicht gegen Zerreden gefeit.

Die Zunahme der Entropie, das heißt der Unordnung, wird nämlich in der Physik, wo der Begriff herkommt, als "spontanes" Ereignis bezeichnet. Bei Wiesberg wird die Nation als etwas "geschichtlich Gewachsenes" benannt, also eher etwas, das spontan, das heißt nicht durch willkürliches Eingreifen systemfremder Kräfte entsteht. Das Bedürfnis nach bestimmten ordnungsstiftenden Prinzipien könnte man natürlich auch für "gewachsen" erklären. Umerziehung kann man sich dagegen, ähnlich wie Erziehung zum Nationalen, kaum als spontanen Vorgang vorstellen. Erziehung zum Nationalen und Umerziehung werden zu Gegensätzen nur durch die Annahme, die eine sei in freundlicher, die andere in feindlicher betrieben wordemn, wobei das moralische Vorzeichen vom Standpunkt abhängig ist. Die Motivierung beider Seiten speist sich aus Quellen, die vielen modernen Menschen (und solchen, die es sein möchten) unverständlich bleiben: es sind angstgeladene Vorstellungen, die Dinge würden ins Chaotische ausufern, würde man sie sich selbst überlassen. So ist die Umerziehung als unbedingt erforderliche Verteidigung der Zivilisation vor "blutrünstigen Vampiren" vorangetrieben worden, also im Namen eines Ordnungsprinzips. Die Flucht weg vom Nationalen wurde zwar von der Umerziehung gefördert, die von Wiesberg beklagte Auflösung jeder Ordnung ist jedoch ein national-unspezifisches Merkmal der technischen Zivilisation. Wenn man will, mag man in der Umerziehung eine gewisse Naivität erkennen (Wehl), keinesfalls aber einen Glauben an die Fähigkeit zu natürlichem, das heißt spontan verlaufendem Verschwinden der Vampire. Die Motivierung zu gezielt nationaler Erziehung ist es genausowenig, und dadurch wird die letztere zum Spiegelbild der Umerziehung. "Unüberbrückbare" Trennlinien (Wiesberg) sind somit nicht zu ziehen.

Der Haufen linker Merkmale wird durch all dies nicht zum Haufen der Rechten. So gilt die Orientierung zum Innovativen, Progressiven, Egalitären, Antielitären, Antiautoritären und Internationalen als "links". Das ist jedoch nicht immer, und vielleicht inzwischen immer seltener der Fall. Wenn jemand an unüberbrückbare Trennlinien glaubt, wird er die Bezeichnung "rechts-liberal" für unsinnig erklären, weil sich "liberal" der Eingliederung unter andere rechte Merkmale, wie konservativ, autoritär oder nationalistisch entzieht. Tatsache ist, Begriffe "rechts-liberal" (wie auch "rechts-sozialistisch") werden gebraucht. Gemeint werden mit "rechts-liberal" etwa die machtbesessenen Manager, die (unter anderem) die Völkervermischung vorantreiben. Für solche Leute ist jede Anspielung auf die Möglichkeit, daß ihre Imperien eigentlich auf fremden und dazu geteilten Böden wachsen, ein Akt zugunsten hirnloser Unordnung. Auch sie halten sich für Ordnungsstifter, die mit unreifen "Mängelwesen" verkehren müssen.

Der Begriff des rationalen Mängelwesens (Arnold Gehlen) ist keineswegs unproblematisch. Gemeint ist der durch das Hinzutreten der zersetzenden Intelligenz geschmälerte Beitrag angeborener Verhaltensweisen, wodurch die Treffsicherheit des ordnungsgemäßen Verhaltens vermindert wird. Daß der Verstand ein unvollständiges "Führungssystem" sei, wußte man schon vor Jahrtausenden. Die Einsicht ist im Begriff der Erbsünde zum Ausdruck gekommen: es ist sündig zu glauben, man könne zwischen Gut und Böse allein schon mit eigenem Verstand entscheiden. Ordnungsprinzipien, obwohl aus der Verstandesküche kommend, können also vom Verstand nicht begriffen werden. Die Überbrückung dieses Widerspruchs ist, was die Religion schon immer erreicht zu haben glaubte, die Logiker jedoch nie akzeptieren wollten. Genauso wie sie den Marxisten vorwarfen, die Revolution und die Ankunft des Kommunismus für streng determinierte Ereignisse zu halten, nur um von jedem maximale Anspannung aller Kräfte zur Verwirklichung dessen zu verlangen, was sowieso sein muß.

Ordnungslos oder nicht, der Mensch ist keineswegs das einzig Mangelhafte unter den Lebewesen. Ist etwa das Hirschgeweih beim Lauf durch das Gestrüpp von Vorteil? Welche Feinde kann der Pfau durch seine Pracht abwehren? Bringt nicht jede Mutation eine Störung des bereits Bestehenden mit sich? Das Auftreten einer Mutation hat ja in den meisten Fällen den Tod zur Folge. Die Anpassung wird unter anderem durch die "Geheimhaltung" des mutierten Gens (Rezessivität) gewährleistet. Obwohl selten, haben jedoch die intelligenzfördernden Mutationen so viele Überlebensvorteile gebracht, daß der Mensch auch als Mängelwesen seinen Konkurrenten davonlief und heute nur seinesgleichen zum Gegner hat. Und sollte es Lebewesen in anderen Galaxien geben ist es wahrscheinlich, daß mit jedem Auftreten der Intelligenz ähnliche Probleme der Anpassung an die Umwelt entstehen würden wie sie bei uns aufgekommen sind. Wenn Macht und Verbreitung ein Maß des Erfolges sind, können somit intelligente Wesen eher als Übermaßwesen bezeichnet werden. Die deutsche Rechte sieht das anders. Der Mensch mag ein Übermaßwesen sein, nicht aber ein Deutscher. Dieser leidet an mehr Mängeln als irgendein andererNationaler dieser Welt. Er irrt orientierungslos herum, läßt sein Land von Fremden besetzen, erlaubt allen, ihn finanziell auszurauben, um ihn am Ende noch für ein hoffnungslos verwirrtes, also geistig krankhaftes Wesen zu erklären. Wenn es so weiter geht, muß er von der Erde verschwinden.

Der deutsche Rechte scheint nicht gemerkt zu haben, daß sein Volk, sollten alle Qualitäten, die er ihm zuschreibt stimmen, tatsächlich ein krankhaft verwirrtes Volk sein müßte. Wenn von Wut erfaßt, wird das der deutsche Rechte auch selbst behaupten, von anderen jedoch läßt er es sich nicht sagen. Aus seinem Munde kommend ist jede Verurteilung der Deutschen als neurotisches Volk ein heilendes Wort, im Munde anderer ist es eine Verleumdung. In Verzweiflung über das eigene Volk wird er nach Methoden sinnen, mit welchen sein Volk regeneriert und gerettet werden könnte. Sind die Deutschen wirklich krank, oder sind es nur die Rechten?

Armin Mohler hat einmal eine Charakterisierung der Rechten und der Linken vorgeschlagen, wonach der Unterschied in der Einstellung zur Theorie liege. Während die Linken, in der Bestrebung, ihrem utopischen Wunschdenken Gewicht zu verleihen, mit grandios wirkenden theoretischen Kostrukten operierten, gingen die Rechten in weit bescheidenerem Maße mit der Theorie um. Man könnte fast sagen, sie hätten überhaupt keine Theorie und beharrten lieber auf harten Tatsachen oder Erfahrungen. Der Eindruck, die Linke sei intellektuell begabt, kreativ und phantasiereich, die Rechte dagegen begrenzt, stur und gehemmt, lasse sich somit nicht vemeiden.

Die bereits besprochene Theorie der Mängelwesen, von den Rechten mit Vorliebe auf das eigene Volk angewandt, scheint gegen diese Hypothese Mohlers zu sprechen. Die Unfähigkeit, eine Theorie von einer Verleumdung zu unterscheiden kann gelegentlich auch einen Linken treffen. Dennoch scheint die Rechte eine besondere Abneigung zu psychologischem Denken zu pflegen. Sie ist in Wiesbergs Beitrag genügend dokumentiert. Dabei bieten gerade die Formulierungen der an der Umerziehung engagierten Psychiater ein offenes Feld für eine einschneidende Kritik der Umerziehung. Anstatt den Ansatz abzuweisen, könnten einfache statistische Studien unternommen werden. Man könnte zum Beispiel zählen, wie oft im Bundestag Phrasen wie "Es würde dem Ansehen unseres Volkes schaden, wenn wir..." fallen, und die Daten mit denen aus anderen europäischen Parlamenten vergleichen. Phrasen von solchem Typ zeugen von einer autoritären Mentalität. Wäre es nicht von Interesse festzustellen, ob die deutschen Palamentarier (bei denen ja der Erfolg der Umerziehung am deutlichsten zutage treten sollte) mehr oder weniger autoritätsgebunden sind als ihre Kollegen in Italien oder England? Durch solches Spießumdrehen könnte gezeigt werden, wie traumatisch (neurotisierend) die Umerziehung auch dort wirkte, wo es ihre Betreiber kaum vermuten konnten.

Abweisung von Theorien, in denen man Beleidigungen wittert, verleitet zu einem gespielten Selbstbewußtsein, mit welchem echte Beleidigungen vertuscht, ja nicht einmal bemerkt werden. In Frau Willigs Beitrag tritt das deutlich zutage. Sie sieht in ihrer Welt so viele Möglichkeiten eines erfüllten Lebens, daß sie ihren Einsatz bei der Rechten aufgab,um aus dem Kreis der nationalen Selbsttäuschungen zu entrinnen. Dabei hat sie die folgenreichsten kaum gemerkt: die Tatsache, daß die deutsche Rechte alle Zeichen der Umerziehung trägt. Sie weist die Dauerwirkung des Schuldtraumas ab und zeigt sich fit für Europa; sie wählt und läßt sich wählen in der Überzeugung, sie könnte in einer demokratischen Wahl auch gewinnen. Woher, wenn nicht aus der Umerziehung, sollte diese Überzeugung stammen.

Willig hat recht: die Rechte kann nicht gewinnen, weil sie sich mit Parteien gleichgesetzt findet, die auf Optimismus bauen. Was Willig aber nicht sieht, sind die tönernen Beine, auf denen dieser Optimismus (einschließlich ihres eigenen) ruht. Ist es wirklich anzunehmen, daß die Bevölkerungsexplosion zu einer Zeit immer deutlicheren Klimawechsels, der Invasion unheilbar gewordenen Krankheiten, gestiegener Ungeduld und dementsprechend gesteigerter Aggressivität, zerknirschender Verzweiflung dort, wo sie am gefährlichsten ist (wie in Rußland), daß all dies schon morgen wie der Aprilschnee schmelzen würde? Und wenn nicht, was ist zu erwarten?

Die Zeit der Umerziehung liegt weit zurück. Wir haben es heute nicht mit der Bewältigung der braunen Vergangenheit zu tun, sondern mit den Folgen des Glaubens der Zivilisierten, ohne eine noch radikalere Umerziehung bis zum Ende der Zeit im Geiste der Freiheit und mit der Gemächlichkeit demokratischer Entscheidungen leben zu können. Wie die Anpassung zur neuen Lage verlaufen wird, wird von lokalen Bedingungen abhängig sein – eine konsequente Globalisierung einer wie immer gestalteten Umerziehung ist inmitten einer tiefen Krise kaum zu erwarten. Die durch die angebliche Globalisierung hervorgerufenen extremen Verzerrungen zwischenstaatlicher Beziehungen kommen ja schon jetzt eher einer radikalen Deglobalisierungleich.

Was unter solchen Bedingungen vorgeht ist aus geschichtlichen Vergleichen voraussehbar. Wir kennen Dokumente aus der Zeit der großen Globalisierung vor 2000 Jahren. Wir wissen, wie rosig griechische Beamte im römischen Dienst ihre Zukunft sahen. Dann lief auf einmal nichts mehr, das Imperium zerfiel, neue Völker tauchten auf, man mußte sich mit ihnen arrangieren. Krisen sind zentrifugale Ereignisse, sie führen zum Zerfall umfassender Strukturen. Freundliches Surfen im Internet? Wer wird die Zentren subventionieren? Welcher Realist kann dem Computer-Idealismus vertrauen? (Und wieso haben es die Marxisten unterlassen, den Leichtsinn der Schwärmer zu demaskieren? Kann der Freak am Display, wie der legendäre russische Mönch, vom Lauschen am Gezwitscher seines Feuervogels leben?)

In Krisen schlägt die Stunde der Rechten. Der Name "rechts" ist jetzt nutzlos, er wird vergessen, von einem Stigma der Vergangenheit keine Spur. Es sind keine Wahlen zu gewinnen, um die Politik zu bestimmen, keine Pop-Musik wird benötigt, um die Leute in die Kirchen zu locken...

Als wir vor Jahren in die Berge Colorados fuhren, wollte meine Frau keine warmen Schuhe mitnehmen. "Es ist ja Sommer," sagte sie. Was ist Rechts? – Eine Art, sich die kalte Zukunft vorzustellen, würde ich sagen.


 
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