© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Zitate

"Augstein: (…) Aber man kann nicht sagen, daß eine gerade Linie von Arminius zu Luther über – wer ist der nächste Bösewicht, den wir kennen? – Friedrich, Bismarck und Ludendorff zu Hitler führt. Das geht nicht, wurde aber nach dem Krieg gemacht. Ich weiß nicht, ob ich mich daran beteiligt habe. Aber ich glaube nicht.

Walser: Du hast von einer Kontinuität des Irrtums gesprochen.

Augstein: Ja, sicher. Aber irgendeine Kontinuität dieser Art gibt es in allen Staaten. Nur bei uns hat sich das so stark ausgeprägt durch diesen schmachvollsten Irrtum, an den man uns ja heute immer noch festkleben will, aus verschiedensten Gründen. Nicht nur aus moralischen. Das gilt es zu durchbrechen. Dazu gehört nicht so sehr der Mut als zunächst einmal die Erkenntnis, daß es eine herrschende Meinung gibt, die mal durchbrochen werden muß. Ich beispielsweise – und als alter Mensch kann ich mir das gerade noch leisten –, ich wandle am Rande der Political correctness."

Aus einem Gespräch zwischen Rudolf Augstein, Herausgeber des "Spiegel", und dem Schriftsteller Martin Walser, veröffentlicht im "Spiegel" vom 2. November 1998

 

"Noch vor vier Jahren warnte Peter Glotz vor dem ‘Normalisierungs-Nationalismus’. Diese linke Kritik deutscher Normalität hat sich erledigt, seit die Linken selbst normal sein wollen, weil auch die Achtundsechziger, wie Schröder sagt, ‘ihre Pflicht getan haben’. Als widerlegt muß der Verdacht gelten, hinter der Normalitätssehnsucht steckten reaktionäre Absichten. Die Dinge liegen viel einfacher. Die Normalität verlockt, weil sie von Rechtfertigungszwängen und Anstandspflichten entlastet. Nicht die Kontrolle des Diskurses ist das Gift des Normalismus, sondern die Enthemmung der Rede"

Patrick Bahners in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 3. November 1998

 

"Der deutsche Nachwuchs heißt jetzt Mustafa, Giovanni und Ali."

Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, auf dem Parteitag seiner Partei Ende Oktober in Bonn-Bad Godesberg

 

"Leid ist nicht meßbar. Wer besitzt die Skala, an der man objektiv ablesen könnte, welche Grausamkeit sich grausamer anfühlte? Niemand kann sagen, wo es schlimmer war: im sowjetischen KZ Workuta, im serbischen Todeslager Omarska oder im Warschauer Ghetto. Der Völkermord an den Juden war einzigartig. Bedeutet dies, daß die Opfer anderer Massenverbrechen weniger unschuldig oder weniger bedauernswert sind? Gewiß nicht. Somit darf man den Völkermord der Nazis sehr wohl mit dem GULag in einem Atemzug nennen. Hier ein Verbot aufzustellen wäre schon deshalb absurd, weil die Überlebenden selbst sich nicht daran gehalten haben. (…) Wer verbieten will, Auschwitz mit anderen Verbrechen in Zusammenhang zu setzen, schiebt die ‘Endlösung der Judenfrage’ immer weiter von unserer Erfahrungswelt weg. Am Ende verschwindet sie ganz aus der Geschichte – Auschwitz wird zu einem mythischen Ort (…). Aber Auschwitz war kein mythischer Ort, es war furchtbar real. (…) Auschwitz gehört zu unserer Geschichte. Daß auch der Archipel GULag zu unserer Geschichte gehört, macht diesen Gedanken nicht erträglicher."

Hannes Stein , Journalist in Jerusalem, im "Merkur" vom November 1998

 

"Die Kunst hat die Pflicht, zu warnen und muß fähig sein, harte Wahrheiten zu zeigen. Aber sie darf die Schönheit nicht außer acht lassen. Schöheit und Ehrlichkeit und Härte lassen sich ohne weiteres verbinden. Warnung und Schönheit gehen ineinander über – die Kunst besteht darin, sie miteinander zu verbinden. Häßliche Dinge stoßen nur ab und verfehlen das Ziel, das sich der Künstler selbst gesetzt hat, nämlich, die Menschen zu erziehen. Nur, ausweglose Häßlichkeit zu zeigen ist doch keine Perspektive."

Friedensreich Hundertwasser, Graphiker und Architekt, in einem Interview mit der "Welt" vom 2. November 1998


 
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