© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/98  06. November 1998

 
 
Die ästhetische Qualität des Wechsels: Die neuen Amtsinhaber wirken wie ertappte Diebe
Macht, endlich Macht!
Meinhard Rehm

Der Ton hat sich geändert, in der neuen, linken Republik. Männer und Frauen, Menschen, deren jugendliche Sozialisationsphase von den späten sechziger und frühen siebziger Jahren bestimmt wurde, sehen sich aus ihrer Pubertätsstarre erlöst. 16 Jahre lang raunzen, klagen, wettern, hoffen, bangen, "sich betroffen fühlen" – jetzt dürfen sie treffen, herrschen, ein bißchen prahlen, lachen. Die Bessermenschen nutzen diese Möglichkeit nur zu gerne, um dem Rest des ungeliebten Volkes zu zeigen, daß sie ihm nicht nur moralisch, sondern auch ästhetisch überlegen sind. Die neue BRD ist nämlich nicht nur links. Sie ist auch total locker.

Die ästhetische Qualität des Machtwechsels – dies muß man zugestehen – ist zumindest eigenwillig. Die Erfahrungswelt der Frühsiebziger verdichtet sich im Endorphinrausch durch eingefahrene Gehirnwindungen: Macht, endlich Macht! Aber: flippig. Yeah!

Wir haben endlich hippe Herren. Menschen wie Georg Dick. Ein Mann mit dem Adelstitel "Ex-Sponti", der jetzt als Planungschef im Auswärtigen Amt den Joschka durch die Welt der 90er führen darf. Endlich einer "wie wir", raunt es durch die linksgeprägte Medienlandschaft. Und selbst die Mitte weiß nicht so recht, was sie auszusetzen hat, an den Neuen. Wie auch, wenn sie selbst vergessen hat, was sie eigentlich will?

So wogt die deutsche Politik- und Medienwelt in seligem und immer noch ein bißchen ungläubigem Jubilieren. Manfred Bissinger erigiert triumphierend durch die Woche, der Süddeutsch-Prantl sieht den Moment der Rache, und die taz kann es einfach noch nicht ganz fassen. "Eine ehemalige Trotzkistin steht da vorne" heißt es mit familiärem Tremolo, als die grünbemäntelte Andrea Fischer zur Gesundheitsministerin gekürt wird. "Selbst Journalisten hatten am Dienstagabend feuchte Augen, als die Minister vereidigt wurden." (taz) Solche offenherzigen Eingeständnisse erlauben unverhoffte Einblicke in den Gemütszustand der Cliquen, die nun ihre Tage gekommen sehen.

Ja wirklich, sie haben es geschafft. Im Fahrwasser der Profis Schröder, Fischer,

Schily et al. sind die Agitatoren des normalisierten Gutmenschen, die verbiesterten Saint Justes des Massengesellschaft in Amt, wenn auch nicht in

Würden gekommen. Daß sie dabei ein wenig wie ertappte Diebe wirken, das dürfte auf ihr Millieu der Möchtegern-Widerständlichkeit zurückzuführen sein, das freilich seine Gewissenskonflikte mit sich bringt.

Der zweite Frühling der peinlichsten Generation unserer Geschichte: Sie lebten nicht in einer Zeit, in der sie Untaten hätten verüben können, aber der richtigen Widerstand war ihnen – von peinlichen Straßenblockaden und halbstarken Pöbel-Demos abgesehen – nicht vergönnt. Und die "Disko" machte um ein Uhr dicht.

Was bleibt da mehr als die demonstrative Auchmenschlichkeit? Eine Generation, die es schon irgendwie kühn und klasse findet, auf Gottes Hilfe in Eid und Ministerposten verzichten zu können. Kein Neuerung freilich, aber immerhin ein Nachvollzug von "Entwicklungen" gesellschaftlichen Ausmaßes. Auch die Politikinhalte sind nicht neu. Aber man hat ja ein Lebensgefühl. Ein Lebensgefühl mit dem Nachgeschmack von Beatles-Schallplatten, "Schwofgruppe", "Sexualaufklärung" und Schlaghosenexzessen. Irgendwie igitt. Und irgendwie sehr weit weg von der Lebenswirklichkeit unserer Tage.

Für diejenigen, die nicht das 70er-Flair der Däubler-Gmelin oder den Tscheka-Impuls eines Trittin mitbringen, bleibt immer noch das Ehrenamt. Ossi und Rotbart Thierse kann als Bundestagspräsident "Zeichen setzen". Welche bisher waren: Erstens sei die PDS (die Erben seiner früheren Diktatoren, immerhin) "eine normale Fraktion", zweitens sollte man den Reichstag umbenennen: "Es gibt kein Reich mehr, sondern die föderale Bundesrepublik." Da dankt man dem Herrn Oberst Lehrer und mag lediglich noch anfügen, daß auch Reiche, gerade einige deutsche, föderal waren. Und warum benennen wir denn nicht auch das Frankfurter Goethe-Haus, zum Beispiel, in "Müntefering-Loggia" um, den Goethe gibt’s ja auch nicht mehr? Oder den Hölderlin-Turm in "Scharping-Maisonette"? Und nicht zuletzt den Verfassungsschutz müßte man endlich zum "Grundgesetzschutz" umtaufen, da wir eine Verfassung im engsten Sinne ja nicht haben.

A propos Geheimdienst: Einer, der gar nicht locker und flippig ist, einer, der seit Jahren auf diesen Moment hinarbeitete, hat nun die längst begehrten

Instrumente der Macht in die Hände bekommen. Für Ernst Uhrlau, der lange Jahre die Verfassung in Hamburg schützte, hat sich seine Kooperation mit dem linken Mediennetzwerk und anderen Kreisen gelohnt: Als "Geheimdienstkoordinator" kann er jetzt aufräumen. Sicher nicht mit der PDS, mit der seine Partei ja in Mecklenburg-Vorpommern koaliert. Der "Extermismusexperte und exzellente Analytiker" (Die Welt) ist nämlich – so präzisiert augenzwinkernd und Zaunpfahl winkend die taz – ein "ausgewiesener Experte für Rechtsextremismus". Da wird die CSU in Zukunft aufpassen müssen.

Die Zeit schreitet voran, auch wenn die Neuen dies nicht akzeptieren. In ihrer Freudentrunkenheit vergessen sie: Auf die Bühne der Macht leuchten grelle Scheinwerfer. Und dort, wo der Staat sein sollte, erkennt man jetzt nur noch Gesellschaft.


 
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