© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
Frankreich: Die politische Landschaft verändert sich
Verkehrte Fronten
Alain de Benoist

Die Debatte, die sich in den kommenden Wochen um die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages entspannen wird, wird in Frankreich quer durch die Rechte wie die Linke gehen. Ob bezüglich Europa, der Globalisierung, der Einheitswährung oder des freien Welthandels: Es gibt heute keine "rechte Position" oder "linke Position" mehr. Das gleiche gilt für die deutsche Wiedervereinigung, den Golfkrieg oder den Jugoslawien-Konflikt. Kürzlich erst erlebte man, wie sich Rechte für den PACS aussprachen und Abgeordnete der Linken nur langsam dahinschleppten, um dafür zu stimmen. Selbst über Probleme wie Einwanderung, Sicherheit, nationale Identität, die Regulierung der Märkte oder die 35-Stunden-Woche sind die gegenwärtigen Lager nur durch die Vergangenheit geteilt.

Noch vor zwanzig Jahren konnte man eine kuturelle Hegemonie der Linken und eine politische Vorherrschaft der Rechten feststellen. Heute hat man eine wirtschaftliche Dominanz der Rechten und eine politische Hegemonie der Linken. Aber es handelt sich dabei nicht mehr um dieselbe Linke noch um dieselbe Rechte Aber die Merkzeichen verwischen sich jeden Tag ein wenig mehr, zumal das "Stammwählerverhalten" immer mehr verschwindet. So wie soziokulturelle Auseinandersetzungen den alten Klassenkampf ersetzen, finden sich die Rechte und die Linke an verkehrten Fronten wieder. Eine bestimmte Rechte, die vom Ideal der Verhindung, einschließlich des Verschwindens der sozialen Moderation, fasziniert ist, streitet leidenschaftlich für die Abschaffung der Handelsgrenzen, wohingegen andere bemerken, daß "die von der Linken transportierte Permissivität direkt in den liberalen Dschungel führt" (Jacques Julliard). Der Kommunitarismus und die kulturelle Vielfalt werden praktisch mit identischen Begriffen denunziert. Auf der Rechten im Namen der nationalen Einheit und auf der Linken im Namen des republikanischen Jakobinismus. Der "Nationalismus" von links enstspricht dem Nationalismus von rechts; der liberale Kosmopolitismus trifft die links-linke Ohne-Grenzen-Tümelei – ohne die Ökologie außer Acht zu lassen, die überall ihre Verteidiger findet.

Auf der Linken findet man heute wenigstens drei verschiedene Strömungen. Einerseits eine sozialliberale Linke, die die große Mehrheit darstellt und antikonservativen, sozialen Reformismus ("Sozial-Zentrismus") mit der Ideologie des Marktes paart. Andererseits trifft man auf eine national-republikanische, einer Nostalgie des Jakobinismus der III. Republik verhafteten Linken, die im Bereich der Identität die Assimilation anstrebt und im ökonomischen Bereich anti-europäisch ist. Schließlich gibt es noch eine libertäre, global ausgerichtete, aber antiliberale Linke, deren "humanitäres" Engagement, obwohl regelmäßig zum "revolutionären" Diskurs passend, eher den christlichen Tradition bald auf eine identitäre Konzeption der Staats-Nation beruft. Eine christdemokratisch und sozial-etatistisch ausgerichtete Strömung, die leidenschaftlich pro-europäisch ist, aber dem absoluten Primat des Marktes feindselig gegenüber steht. Eine liberale Strömung, die im Namen der "Modernität" die Globalisierung wärmstens empfiehlt und die sich zur Speerspitze eines "Fortschritts" zu machen versucht, der sowohl über den beschleunigten Abbau der Klassen als auch der Traditionen und Nationen führt.

Die Definition der Linken als "Partei der Bewegung" und der Rechten als "Partei der Ordnung" zerbirst unter dieser Tatsache. Die Idee des Fortschrittes befindet sich heute in der Krise. Es sind die Ökologen, Partner der "pluralistischen Mehrheit", die mit aller Macht diese Idee als lllusion verdammen. Die Ultra-Liberalen stellen sich im Gegensatz dazu als stärkste Befürworter einer Flucht nach vorne, in einen "Turbokapitalismus" dar. Lionel Jospin seinerseits erklärte vor einigen Wochen: "lch will immer ein Repräsentant der Partei der Bewegung sein, aber ich will, daß sich diese Bewegung in einer Ordnung vollzieht. Wir brauchen Regeln, Normen, Bezugspunkte." Man denkt unweigerlich an die Darsteller des Chàtelet, die "Vorwärts, vorwärts" singen und gleichzeitig auf der Stelle bleiben. Nichtsdestotrotz ist dieser Ton neu. Die politische Landschaft ist dabei sich zu verändern.

Man braucht sich dennoch keinen Illusionen hinzugeben. Eine solche Entwicklung bezeugt auch, und wahrscheinlich zu allererst, die steigende Unfähigkeit der Politik, die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Die Politik hört auf, als der priviliegierte Ort wahrgenommen zu werden, an dem die Probleme der Bürgerschaft debattiert und geregelt werden. Das vermeintlich Soziale entfaltet sich immer mehr außerhalb von ihr. Mehr noch: Die soziale Veränderung beschleunigt sich zu einem Zeitpunkt, an dem keine Partei der Rechten oder der Linken sich selbst eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung als Ziel zu setzen getraut. Angesichts einer Globalisierung, die von jetzt an als normative Theorie des sozialen Wandels auftritt, scheinen die Parteien unfähig geworden zu sein.


 
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