© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
Forschung: Der Klimakollaps könnte schneller kommen als erwartet
Verkohlte Baumstümpfe
Ulrich Karlowski

Die Auswirkungen der Abholzung tropischer Regenwälder auf den bevorstehenden Klimawandel sind möglicherweise weit unterschätzt worden. Zu diesem Schluß kommt ein Wissenschaftlerteam aus Brasilien. Bisherigen Schätzungen zufolge werden weltweit jährlich etwa zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoff durch Brandrodung und Zersetzung gefällter Bäume in die Atmosphäre ausgestoßen, ein Großteil davon stammt aus den Tropen. In einem im Wissenschaftsmagazin New Scientist veröffentlichten Beitrag weist William Laurence vom brasilianischen National Institute for Research in the Amazon nun darauf hin, daß die durch Regenwaldrodungen verursachten Kohlenstoffemissionen um durchschnittlich sieben Prozent, in manchen Gebieten sogar um bis zu 42 Prozent höher angesetzt werden müssen, als bisher angenommen. Grund sind bislang vernachlässigte Verluste von Biomasse in den Randzonen der nach einer Rodung verbleibenden Restwälder. Nach den Berechnungen von Laurence betragen die dadurch verursachten zusätzlichen CO2-Emissionen bei der derzeitigen Abholzungsrate im brasilianischen Amazonasgebiet zwischen 3 und 15,6 Millionen Tonnen und zwischen 22 und 149 Millionen in tropischen Wäldern insgesamt. Für Manfred Stock, stellvertretender Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung, sind diese Erkenntnisse keine Überraschung: "Es ist ein weiterer, bislang allerdings nicht bekannter Puzzlestein, der mögliche Korrekturen des Ablaufs des Treibhauseffekts nach oben erbringen könnte."

In einer 18 Jahre umspannenden Feldstudie untersuchten Laurence und sein Team 66 isolierte Restwaldgebiete verschiedener Größe. Sie fanden heraus, daß deren Randregionen aufgrund ihrer vor starkem Wind und anderen extremen Klimabedingungen ungeschützten Lage bis mindestens vier Jahre nach dem Schweigen der Sägen weitere hohe Vegetationsverluste erleiden. Herausgerissen aus einem vormals Schutz gebenden Großwald, verkümmern Bäume und Unterholz in den Randzonen der Restwälder, statt weiterzuwachsen, und können sogar absterben. Bei der Zersetzung dieser toten organischen Masse durch Pilze und Bakterien entstehen erhebliche Mengen an Methan, im Holz gespeicherter Kohlenstoff wird freigesetzt, beides Hauptverursacher des Treibhauseffekts. Die Wirkung war vom Waldrand aus noch bis zu 300 Meter ins Innere der Restwälder meßbar. Gleichzeitig gehen durch diesen zusätzlichen Vegetationsverlust Bäume und Sträucher verloren, die ansonsten in der Lage wären, CO2 aus der Atmosphäre zu absorbieren.

In einem jetzt veröffentlichten Nachfolgeprojekt haben die Wissenschaftler die sich aus den Vegetationsverlusten ergebenden CO2-Emissionen für verschiedene in Amazonien typische Rodungsformen berechnet. Dabei wurden drei Abholzungsmethoden simuliert: die vielen kleinflächigen Parzellen der Kleinbauern im südlichen Amazonien, die großflächige Abholzung für Rindergroßfarmen im östlichen Amazonien – beide zusammen sind für den Großteil der Tropenwaldverluste im Amazonasgebiet verantwortlich – sowie ein Zufallsszenario, bei dem wilde Rodungen simuliert wurden. Dabei wurden jeweils Abholzungsgrade von 5 bis 95 Prozent miteinander verglichen. Die höchsten Kohlenstoffmengen gingen – bei jeweils allen Abholzungsgraden – bei unkontrollierter Rodung und bei den Kleinbauernparzellen verloren. Aufgrund der hier auftretenden größeren Anzahl kleinerer Restwälder war der zusätzlich auftretende Wald- und CO2-Verlust zwei- bis fünfmal höher als bei Rindergroßfarmen, bei denen vergleichsweise große und einheitliche Waldflächen zurückbleiben.

Gleichzeitig weist Laurance darauf hin, daß seine Ergebnisse das Problem nicht einmal in seinem ganzen Ausmaß widerspiegeln. Die Flächen zur Messung des Biomasseverlustes waren von Aufforstungswäldern umgeben und so relativ windgeschützt. Normalerweise sind Waldreste, die bei der Urbarmachung von Viehweiden und Feldern verbleiben, völlig ungeschützt. Laurance fordert jetzt von der brasilianischen Regierung die Förderung von Abholzungsmethoden, bei denen die Entstehung zerstückelter Restwälder weitgehend vermieden wird.

Wie notwendig derartige Maßnahmen wären, bestätigt der Potsdamer Klimaforscher Manfred Stock: "Man müßte diesen Effekt jetzt auch für boreale Wälder prüfen. Außerdem gibt es neben Kohlenstoffemissionen zahlreiche weitere, derzeit noch mit hohen Unsicherheitsfaktoren verbundene Effekte wie die Strahlungseigenschaft gerodeter Flächen, die zusätzlich zur Erd-erwärmung beitragen können."


 
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