© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
Kino: "Die Truman Show" zeigt ein totalitäres Mediensystem
Jeder überwacht jeden
Claus-M. Wolfschlag

Man schreibt den 10.909. Tag der "Truman Show". Wie an jedem Morgen verabschiedet sich Truman Burbank (Jim Carrey) von seiner Ehefrau Meryl und fährt gutgelaunt zur Arbeit in ein Versicherungsbüro. Truman ahnt noch nichts davon, daß er der – mit versteckten Kameras beobachtete – Hauptdarsteller einer täglichen 24-Stunden-Live-Fernsehshow ist. Doch nach diesem Tag häufen sich unvorhergesehene Zwischenfälle, die Truman über sein Leben ins Grübeln bringen.

Ein Scheinwerfer landet aus dem Nichts neben ihm und zerbirst am Boden. Die Auskunft kann ihm eine Telefonnummer auf den Fidschi-Inseln nicht vermitteln. Das Autoradio gibt auf einmal verblüffende Anweisungen, als wäre eine konzertierte Überwachung in der Umgebung angeordnet. Das Wetter, seine Mutter, seine Frau, seine Freunde – alle scheinen ihn davon abhalten zu wollen, das beschauliche Städtchen einmal zu verlassen. Als er dennoch mit dem Auto die Flucht zu ergreifen versucht, wird er von einer Polizeisperre gestoppt – die Straße sei wegen eines Atomunfalls gesperrt. Und immer erinnert er sich an Sylvia, die einmal zu ihm sagte, daß sein Leben eine Fälschung sei, bevor sie von ihrem angeblichen Vater in ein Auto gedrängt wurde, da sie sofort auf die Fidschi-Inseln umziehen müßte…

Von einer Kommandozentrale, ausgestattet mit zahllosen Monitoren, überwacht der Fernsehkünstler Christof (Ed Harris) alle herzergreifenden Lebenssituationen Trumans. Er inszeniert nach allen Regeln der Kunst, mit geschickten Schnitten und Musikeinspielungen.

Christof ist der gottähnliche Schöpfer und Regisseur der "Truman Show", einer von 5.000 Kameras festgehaltenen Fernsehsendung, die seit Trumans Geburt, also beinahe 30 Jahre, ohne Pause in 120 Länder live übertragen und von bis zu 1,7 Milliarden mitfiebernden Zuschauern betrachtet wird. Seahaven ist ein gigantisches Fernsehset unter einer künstlichen Himmelskuppel. Alle Mitwirkenden sind Schauspieler; nur Truman weiß von der Inszenierung um ihn nichts. Doch er ahnt langsam und versucht, gegen das Gefängnis seines Lebens anzugehen.

Der australische Regisseur Peter Weir, der sich nicht erst seit "Picknick am Valentinstag" oder "Fearless" mit den Welten hinter der vordergründig wahrgenommenen Realität auseinandergesetzt hat, nahm sich diesmal seines ewigen Themas auf ganz andere, neuartige Weise an. Weir verließ den mythisch-parareligiösen Rahmen und näherte sich komödiantischen Elementen an. Dies geschah nicht nur durch die Auswahl des verhältnismäßig dezent agierenden Jim Carrey – im Schneiden grotesker Grimassen meist ein würdiger, aber auch etwas penetranter Nachfolger von Komik-Legende Jerry Lewis –, sondern auch durch gelungene Rückblenden in Trumans Kindheit. Zudem enthält Weirs Schilderung starke sozialkritische Züge, wie sie auch schon bei "Fearless", wenngleich nur am äußersten Rande, mitzuschwingen begannen.

Trumans "Heimat" ist ein Bonbon-Idyll aus der Fernsehwelt. Seahaven, die Stadt der weißen Villen, fröhlichen Menschen und ewigen Sonnenuntergänge am Meer präsentiert sich zwar keinesfalls unsympathisch, aber dennoch zu steril, als daß man nicht auf den ersten Blick das unruhige Gefühl bekommt, irgendetwas stimme hier nicht. Das Schöne wirkt hier gelogen.

Und wahrlich, als besondere Perfidie des hemmungslosen Mediensystems erscheint die Inszenierung der Lüge als markttechnischer Wert. In der "Truman-Show" gelingt dies durch den Aufbau eines quasi totalitären System. Jeder überwacht hier jeden, und jeder hat Teil an der gnadenlosen Vermarktung menschlichen Schicksals. Alle sind korrumpiert und prostituieren sich. Das materialistische System braucht keine Menschen mehr zu erschießen, es will sie dafür aber vermarkten – und präsentiert ihnen als Gegenleistung ein Gulag voller verlogener Illusionen.

"Die Truman-Show" ist aber mehr als eine vordergründige Anklage zunehmender Lüge, Verkitschung, Klischeebehaftung und Ausnutzung durch einen amoklaufenden, geldgeilen Medienapparat. Sie stellt auch eine Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz im größeren Rahmen dar. Wie weiland große Entdecker – Christof Kolumbus, Magellan, Amundsen oder Neil Armstrong – an die Grenzen der ihnen bekannten Welt vorzustoßen bemüht waren, so schlummert der Explorationsdrang (mit allem Abenteurertum in seinem Gefolge) im tiefen Urgrund der menschlichen Seele. Dieser Entdeckergeist liegt allerdings oftmals verschüttet.

Vielen Menschen ist ihr eigenes Leben das Gefängnis, aus dem sie allenfalls durch Drogen in ihrer vielfältigsten Form zu entkommen bemüht sind. Die Korrumpierung durch die Bequemlichkeit des Wohlstands, die Ängste vor der gefährlichen Welt in der Ferne, der Wunsch, sich gegen alle Eventualitäten zu versichern, scheinen auch von Truman Besitz ergriffen zu haben.

Zudem wird Truman gleichnishaft durch seine traumatische Angst vor Wasser davon abgehalten, das Seahaven umgebende Meer hin zum "realen" Festland zu überschreiten. Erst die ehrliche Liebe zu einer Frau in der "Außenwelt" und der Selbstzweifel lassen ihn den Schritt über den Rubikon wagen. Ob die "neue Welt" eine bessere ist, ob in ihr nicht auch neue Tragik steckt, ob man glücklicher durch ihre Entdeckung wird – diese Fragen werden nicht eindeutig zu beantworten sein.

Auch über Trumans Leben jenseits von Seahaven erfährt der Zuschauer nichts mehr, denn die Show ist irgendwann vorbei. Indes, es scheint des Menschen ewiger Drang zu sein, immer weiterzugehen, um irgendwann jenes göttliche Allwissen zu erlangen, nach dem er sich in seinem Innersten sehnt. Der Gang des erwachsen gewordenen Truman hinter die Medienkuppel, seine Abnabelung vom thronenden Gott-Vater Christof ist nur der Anfang zu jenem Ende der Erkenntnis, das bereits in Science-Fiction-Filmen wie "Das schwarze Loch" oder "2001 – Odyssee im Weltraum" vorweggezeichnet wurde.


 
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