© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/98  13. November 1998

 
 
"Neue Deutsche Härte": Presse auf der fieberhaften Suche nach gefährlichen Bands
Rrrrealsatire
Holger Stürenburg

Nachdem bei den Bundestagswahlen vor wenigen Wochen explizit rechte Parteien keine nennenswerte Rolle spielten und fast 55 Prozent der Deutschen Parteien links von der Mitte gewählt hatten, müssen sich manche Medien neue Ereignisse suchen, um ihrer Leserschaft weiterhin neue drohende "Gefahren von rechts" deutlich vor Augen zu führen. So muß nun die seit einigen Jahren wieder mächtig blühende deutsche Rockszene dran glauben.

Spielte der klassische Deutsch-Rock, der noch in den 80er Jahren höchst erfolgreiche, aber meist linke Vertreter wie BAP, Grönemeyer oder Wolf Maahn hervorbrachte, bis zur Mitte dieser Dekade so gut wie keine Rolle im Musikgeschäft, so hat sich in letzter Zeit eine aktuelle einheimische Stilrichtung entwickelt, die in der Fachpresse als "Neue Deutsche Härte" bezeichnet wird. Bands und Interpreten dieses Metiers haben anglo-amerikanische Hardrock-Stile von Grunge bis Alternative intensiv studiert und setzen dem internationalen Markt krachende Rockmusik auf Heavy-Basis mit durchgehend deutschen Texten entgegen, die vor allem bei nachwachsenden Musikfans auch große kommerzielle Erfolge nach sich zieht.

Die Texte der meisten dieser Bands sind betörend unpolitisch, der Zeigefinger wird fast nie erhoben, Randgruppenkult, Öko-Hysterie oder Friedensbewegtes findet nicht mehr statt. Statt dessen besingen die Bands Themen aus der mittelalterlichen Mystik, oft mit religiösen Einflüssen bereichert, wobei neoheidnische Gedanken genauso verarbeitet werden wie christlich-biblische Inhalte. Oft wird morbide Romantik präsentiert, Todes- und Liebessehnsüchte wechseln sich ab. Musikalisch dröhnen die Gitarren, prügelt das Schlagzeug wie bei vielen anderen Stilen der Rockmusik, nur wesentlich härter und einpeitschender.

Allerdings sind die Hauptmerkmale der "Neuen Deutschen Härte" nicht nur bombastische, überdimensional wirkende Arrangements, sondern oft auch pathetische Intonation – und bei vielen Sängern diese spezifische gleißend kühle, dunkel-düstere Stimme, bei der vor allem das rollende "Rrrr" bereits vor zwei Jahren die ersten politisch korrekten Gesinnungswächter auf den Plan rief. So wollte man bei dem Sänger von Rammstein sofort klangliche Ähnlichkeiten mit Roland Freisler oder Joseph Goebbels ausmachen – obgleich Volksmusik-Heimchen Carolin Reiber und jeder einigermaßen fähige Russisch-Professor ihr "Rrrr" genauso bedrohlich rollen lassen.

Natürlich geben sich Rammstein unnahbar, kalt, zynisch – aber wenn man sich ihre Texte näher anschaut, sieht man, daß diese ziemlich platt, auf plumpe Provokation getrimmt sind; allerhöchstens eine gewisse Destruktivität könnte man aus ihnen herauslesen. Mit dem der Band umgehend aufgeklebten Etikett "rechts" hat dies alles jedoch nichts zu tun.

Kaum feierte Rammstein die ersten Erfolge, zogen verschiedene andere Plattenfirmen mit ähnlichen Produkten ach. Obgleich etwa das norddeutsche Projekt Stalin zwar vulgäre, pubertär-sexistische Texte von sich gibt, aber keine "rechte" oder "nationale" Ausrichtung erkennen läßt, drückte die Junge Welt ihrer Plattenfirma "Strangeways" umgehend das Kainsmal "rechtsradikal" auf.

Wesentlich erfolgreicher als mit Stalin ist "Strangeways" mit dem Hamburger Joachim Witt, der 1981/82 der damals mächtig angesagten "Neuen Deutschen Welle" mit Hits wie "Der Goldene Reiter" eine wichtige Zufuhr an Niveau verabreichte. Witt sang damals vor allem sensible, oft wertkonservativ anmutende Texte zu Pop- und Wave-Melodien, deren Erfolg jedoch spätestens in der zweiten Hälfte der 80er merklich nachließ.

Bei "Strangeways" bekam Witt 1997 nach fast vierjähriger Pause einen neuen Vertrag, mit dem sich auch sein Musikstil änderte. Während die erste Single "Das geht tief" in eben jenem "neuen deutschen harten" Stil erste positive Reaktionen bei den Käufern hervorrief, wurde in diesem Jahr die bombastisch-melodiöse Hymne "Die Flut" ein europaweiter Hit, der bis auf den vierten Platz der deutschen Single-Hitparaden stieg. Auch bei der "Flut" rollte Witt das "Rrrr" und veröffentlichte dazu ein verschwommenes schwarz/weiß-Video über eine Schiffskatastrophe, wie sie tatsächlich in den 20er oder 30er Jahren hätte stattfinden können.

Und da die "Neue Deutsche Härte" immer erfolgreicher wird, hat nun die weltbekannte Firma "Sony Music" eine ganz aktuelle Band dieser Richtung veröffentlicht: Weissglut, eine fünfköpfige Truppe um den charismatischen Ex-Frontmann von Forthcoming Fire, Josef Klumb, deren neue CD krachenden Düsterrock mit mystischen Texten über Liebe, Leben, Tod und Teufel enthält.

Da Josef Klumb jedoch nicht nur ein äußerst begabter Sänger und Liederschreiber ist, wie verschiedene Heavy-Metal-Magazine bereits positiv hervorhoben, sondern gar bei einem nationalen Verlag zeitweise sein Geld verdient, mußte nun der Spiegel kürzlich mal wieder "Gruselrocker" am äußersten rechten Rand ausmachen. Nicht nur Klumbs schöngeistig-verklärtes JF-Interview wird als Beleg für seine Einstellung genutzt, auch darf ein Soziologe des linksaußen angesiedelten Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) ohne nähere Begründung von Klumb "wirklich als von einem Nazi" sprechen.

Musikalisch passen Weissglut natürlich in die "Neue Deutsche Härte", aber der im Spiegel vorgenommene Vergleich mit den Bösen Onkelz, die immer dann herhalten müssen, wenn Linke "rechten" Rock erkennen wollen, ist stilistisch wie musikalisch schlichtweg falsch. Die Onkelz-Musik ist primitiv stampfender Hardrock, nahe bei Iron Maiden, Motörhead und anderen Idolen der "New Wave of British Heavy Metal" von Anfang der 80er Jahre. Auch die lyrischen Texte der Onkelz sind nicht mehr als geschrieene Parolen unter dem Motto. "Alles ist Scheiße, die anderen sind daran schuld." Mit den romantisch-düsteren Texten von Weissglut, ihrer kühl-morbiden Ausstrahlung und vor allem ihrem kompositorischen Können kann man die Onkelz also überhaupt nicht vergleichen. Trotzdem wirft das Hamburger Magazin Rammstein, Böse Onkelz, Weissglut und Joachim Witt in einenTopf.

Während "Sony" zu ihren neuen und bereits sehr erfolgreichen Künstlern steht, jedoch auf stur schaltet und keine Presseanfragen nach Weissglut beantwortet, hat bei "Strangeways" die große Abgrenzeritis begonnen, indem man zum Beispiel selbst Deutsch-Rockern, die ein CDU-Parteibuch besitzen, Rechtslastigkeit unterstellt und jede Unterstützung der Künstler verweigert.

Das alles wird dem ersten rein deutschen Rock-Phänomen seit der "Neuen Deutschen Welle" jedoch nicht viel schaden können. Vor allem jugendliche Plattenkäufer, gerade die aus den neuen Bundesländern, haben verordneten Antifaschismus längst satt, und auch die Rechtswarnungen in der alten BRD werden bei den 14- bis 20jährigen nicht viel bewirken können – schon gar nicht beim Musikhören. Die Linkspresse wird jedoch weiterhin hinter jedem böse blickenden Rockmusiker die Fratze Adolf Hitlers erkennen, hinter jedem Schwarz-Weiß-Video einen Originalbeitrag aus der Reichskulturkammer und hinter jedem gerollten "Rrrr" ein historisches Tondokument von Hermann Göring


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen