© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Friedrich Merz
Strebsamer Nachfolger
Hans-Georg Münster

"Ich stehe hier nicht als Angestellter des Bundeskanzlers. Ich bin frei gewählter Abgeordneter." Was dem 43jährigen CDU-Abgeordneten Friedrich Merz im Mai dieses Jahres am Rednerpult des Bundestages einfach so herausgerutscht zu sein schien, hatte in Wirklichkeit Methode: Polit-Spezialisten wie Merz hatten zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt, daß sich das System Kohl in Niedergang und Auflösung befand. Wer sich so früh darauf einstellt, erholt sich nach der Niederlage schnell: Während die meisten Abgeordneten noch Wunden leckten, organisierte Merz bereits Pressekonferenzen und ritt Attacken gegen die Rot-Grünen. Er sei von "ähnlicher Prägung wie Schäuble", will die FAZ erkannt haben. Das ist richtig. Rechtsanwalt Merz wurde wegen seiner Seelenverwandtschaft Stellvertreter des Fraktionsvorsitzenden Schäuble. Wer Altvordere wie Heiner Geißler oder Rupert Scholz aussticht, muß was Besseres sein. Das hatte selbst Theo Waigel erkannt, der Merz zum Staatssekretär im Finanzministerium gemacht hätte, wenn die Wahl gewonnen worden wäre.

Immer strebsam, immer eilig, legte Merz eine politische Musterkarriere hin, beginnend in der Schüler-Union. Nach dem Studium wurde er erst Richter, später Rechtsanwalt. Als Lobbyist eines Chemieverbandes lernte er Bonn intensiv kennen. Da Parteien gute Leute für den Bundestag nicht auf Anhieb erkennen wollen, schlug Merz einen Umweg über das Europäische Parlament ein, um dann (vor vier Jahren) in Bonn anzukommen. Mit Fleiß arbeitete er sich in das Steuerrecht ein und wurde zum Vorzeige-Experten. Sicher lag es an spätem jugendlichen Leichtsinn, daß Merz einmal im Rahmen der Steuerreform für die volle Besteuerung der Renten eintrat; er hatte das Wort Systematik zu wörtlich genommen, die Brisanz des Themas verkannt und kassierte entsprechende Prügel. Der Fehler dürfte ihm nicht wieder passieren. Doch vorzeigen kann man ihn eigentlich immer: Verheiratet, drei Kinder, katholisch, freundlich, loyal, heimatverbunden, traditionsbewußt, europäisch denkend, gebildet, kompetent, zuverlässig, sicher auch für die deutsche Einheit, wenn er danach gefragt worden wäre. Er hat sogar Haltung gezeigt: "Wir sind die Partei der Steuersenkung", baffte er die Führung an, als Kohl, Waigel und Schäuble sich im Dezember mit der SPD auf eine höhere Mehrwertsteuer einigten, um die Rentenbeiträge stabil halten zu können. Sein erster Auftritt im neuen Bundestag als Widerpart des Finanzministers Oskar Lafontaine war gelungen.

Egal, was man liest, hört, fragt: Gegen diesen Sauerländer ist nichts einzuwenden. Die Masse der konturenlosen Abgeordneten überragt er nicht nur körperlich, sondern besticht durch die Kunst präziser Formulierungen. Er ist immer da, redet viel und gut. So drängt sich eine Ahnung auf: Nach Schäubles Herbst wird Merz Nachfolger.


 
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