© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
USA: Wie Journalisten das Deutschland-Bild zu prägen versuchen
Skeptischer Blick auf Berlin
Ines Steding

Im Herzen der Südstaaten der USA, in Atlanta im Bundesstaat Georgia, ist eine hehre Institution angesiedelt. Das Southern Center for International Studies (SCIS) organisiert seit 1962 Tagungen, welche die internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen ausleuchten. Daneben werden auch Länderstudien erstellt, so erst 1997 über Deutschland. Vizepräsident Cedric Suzman nennt die "Mission", die vornehmste Aufgabe des gemeinnützigen "Think Tank" (Denkfabrik), den Amerikanern die wachsende Dynamik der internationalen Gemeinschaft nahezubringen. Verständlich, wenn dann Ende Oktober das 3. Europa-Seminar im Zeichen von Euro und EU-Erweiterung stand. Eine weitangereiste, zahlreiche Zuhörerschaft bekam, nicht zuletzt dank hochspezialisierter Referenten, einen verdichteten ausgewogenen Überblick über aktuelle europäische Fragen.

Freilich, alles andere als ausgewogen war die Scheitelveranstaltung "Der Einfluß der deutschen Wahlen", die vom Direktor des Washingtoner Instituts für Deutschlandforschung, Jackson Janes, moderiert wurde. Gegen die einseitigen Fliehkräfte von zwei Journalisten aus dem regierungsnahen Lager war nicht anzukommen. Sowohl Werner Perger von der Zeit' als auch Jochen Siemens von der Frankfurter Rundschau malten ein rot-grünes Tableau, in dem Gegenentwürfe des bürgerlichen Lagers nicht existierten. Die wirtschaftspolitschen Errungenschaften, eine unter vier Millionen gedrückte Arbeitslosenzahl sowie die niedrige Teuerungs- und Inflationsrate hätten doch zumindest einen gewissen informativen Ist-Zustand markiert. Während Siemens sich internationalen Fragen widmete, gab Perger seine Sicht auf das "Ende der ewigen Kanzlerschaft" zum Besten.

Wenngleich auch die erste Abwahl eines Kanzlers im Nachkriegsdeutschland eine verfestigte Folge durchbricht, so ist Pergers hohes Lob, die deutsche Demokratie habe Fortschritte gemacht, überschwenglich. Parlamentarische Wechsel mittels Kanzlerrücktritt, durch neue Koalition oder Mißtrauensvotum sind nicht weniger demokratisch, selbstredend ausgenommen manipulierte Geschehnisse wie 1972 beim Mißtrauensvotum gegen Willy Brandt. Im übrigen: Die mögliche Abwahl des jetzigen Kanzlers in vier Jahren und Pergers Fortschrittsglaube sind dann vielleicht Bezugsgrößen anderer Art.

Perger befürwortete, daß die extreme Rechte wegen der bundesweit drei Prozent Stimmen beobachtet werden sollte. Von der sich systemoppositionell, antikapitalistisch und sozialistisch nennenden PDS sprach er dabei nicht. Und immer wieder bekam Altkanzler Kohl den Unmut ab: So gab es unter dem "Monument" keine staatsbürgerlichen, ökonomischen und Menschenrechtsdebatten mehr. Ein Blick in die Bundestagsdrucksachen der abgelaufenen Legislaturperiode würde Perger gewiß guttun. Jetzt wird dafür nachgeholt, denn für Journalisten gibt es endlich wieder "interessante Zeiten, wegen der Zirkulation von rot-grünen Papieren."

Zur Vorfreude gesellte sich ein Rückblick auf die Wahlkampagne.So wußte er über Lafontaines "Keine Angst vor der Globalisierung" (Co-Autorin Christa Müller blieb unerwähnt) zu berichten, daß hieraus kurzfristig ein Kapitel über internationale Finanzkontrollen entnommen wurde, um dem typischen und schädlichen Klischee von der steuerglücklichen ("tax-happy") SPD zuvorzukommen.

Ein anderes Mal wagte sich die liberale Zeit im heißen Wahlkampf mit der Schlagzeile "Abschied von Grün" hervor. Der damalige Fraktionsvorsitzende und Medienprofi Joschka Fischer rief darauf in der Redaktion an und wurde zum Gespräch nach Hamburg geladen – der Rest ist nachzulesen.

Auch Siemens kam nicht ohne Kohl-Bashing aus; seine außenpolitischen Überlegungen erwiesen sich als ziemlich deckungsgleich mit der jüngst von Kanzler Schröder vorgetragenen Regierungserklärung. Siemens offenbarte seine heftige Abneigung gegen das herrschende Staatsbürgerrecht. Diese "Antiquität aus der Kaiserzeit", nämlich das Abstammungsprinzip (ius sanguinis), wurde damals nicht neuerfunden, sondern lediglich neu kodifiziert. Es ist ein ur-europäisches Ordnungsprinzip mit nationalen Varianten, und der Österreicher Perger hätte dies zumindest erwähnen können. Bis dato hat es die neue Opposition nicht verstanden, diesen argumentativen Ansatz offensiv zu widerlegen. Hochspekulativ ist, und Siemens begab sich auf dieses Feld, ob auch eine erneute CDU/FDP-Koalition Gesetzesänderungen bei der Staatsangehörigkeit im nunmehr geplanten Umfange getragen hätte. Handelt es sich doch laut Siemens um etwa drei Millionen Neueinbürgerungen, überwiegend Blue-Collar-Schichten und damit SPD-Wähler.

In der Aussprache wandte sich der Europa-Experte Michael Baun, Professor an der Valdosta State University, Georgia, gegen die von den deutschen Referenten geübte Kritik an Altbundeskanzler Kohl und fügte hinzu, daß Deutschland nach den Wahlen ein schwierigeres Land ("a more difficult country") sei.


 
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