© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Vor 80 Jahren: Das verspätete Kriegsende in Deutsch-Ostafrika
Im Süden unbesiegt
Erik Lehnert

Es "waren noch 155 Europäer, 1.168 Askari und rund 3.000 Träger", die nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands am 11. November 1918 fernab von Europa weiter Krieg gegen die Übermacht der Alliierten führten. In Afrika war die Nachricht vom Kriegsende nicht sofort zu den dort kämpfenden, von der Heimat abgeschnittenen deutschen Truppen gelangt, so daß diese erst am 14. November kapitulierten und elf Tage später ihre Waffen übergeben mußten. Gemäß den Bedingungen des Waffenstillstands hätten die deutschen Truppen lediglich aus Ostafrika abziehen sollen. Das so zustande gekommene Ende war nur eine der vielen Eigentümlichkeiten der Kämpfe in Deutsch-Ostafrika.

Der Erste Weltkrieg begann in Deutsch-Ostafrika mit der Beschießung der Hauptstadt Daressalam und der Errichtung einer Blockade durch die Engländer am 5. August 1914. Nachdem die Neutralitätsverhandlungen gemäß der Kongoakte von 1885 gescheitert waren, trat auch Belgien in den Krieg ein. Damit war Deutsch-Ostafrika fast völlig von Feinden eingekreist, was den Kommandeur der Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika von der Verteidigung nicht abschreckte. Paul von Lettow-Vorbeck verfügte über Kolonialkriegserfahrung und war durch sein Pflichtgefühl ein unerbittlicher Truppenführer: "Wir haben Befehl, Krieg zu führen; wir hören nicht auf, bis Gegenbefehl erfolgt." Deutsch-Ostafrika selbst bot keine optimalen Voraussetzungen für die Kriegsführung: die Kolonie war in hohem Maße von Importen abhängig und wenig erschlossen. Die Schutztruppe war für einen Krieg gegen äußere Feinde nicht gerüstet und umfaßte nach der Zusammenlegung mit der Polizei etwa 300 Deutsche und 4.500 Askari (eingeborene Soldaten). Ihre maximale Kopfstärke betrug Anfang 1916 insgesamt rund 15.000, davon 3.500 Weiße. Durch den Ausbau der Schutztruppe und die Umstellung auf Selbstversorgung konnte Deutsch-Ostafrika bis zum Februar 1916 im wesentlichen gehalten werden. In zwei großen Gefechten, Tanga und Jassini, wurden britische Expeditionskorps abgewehrt.

Es gelang nicht, die Schutztruppe zu besiegen

Nach der Kapitulation der deutschen Truppen in Deutsch-Südwestafrika begannen die Alliierten im März/April 1916 mit einer Großoffensive gegen Deutsch-Ostafrika. Es gelang nicht, die Schutztruppe zu besiegen, die zum Beispiel das Gefecht von Mahiwa am 14./18. Oktober 1917 für sich entscheiden konnte, obwohl Deutsch-Ostafrika seit Ende 1917 vollständig vom Feind besetzt war. Lettow überschritt aus diesem Grund mit seinen Truppen die Südgrenze nach Portugiesisch-Mosambik, durchkreuzte zehn Monate lang dessen Norden, kehrte am 28. September 1918 nach Deutsch-Ostafrika zurück und marschierte einen Monat später nach Britisch-Nordrhodesien, wo er in "strategisch günstiger Lage" auf dem Durchmarsch nach Angola von der Kapitulation der Mittelmächte überrascht wurde.

Daß die Schutztruppe bis zum Kriegsende nicht kapitulierte und auch weiterkämpfte, als die Kolonie schon längst verloren war, ist bemerkenswert und nur durch die Zielsetzung und Kriegsführung Lettows zu erklären. Lettows Ziel bestand längerfristig darin, den europäischen Kriegsschauplatz durch die Bindung feindlicher Truppen in Afrika zu entlasten. Da der Gegner zahlenmäßig überlegen war (mindestens 100.000 Soldaten mit modernster Ausrüstung), mußte die Kriegsführung dementsprechend angepaßt werden. Lettow setzte deshalb auf die Beweglichkeit und punktuelle Schlagkraft seiner Truppen, das heißt er führte einen vorbildlichen Kleinkrieg. So wurde der Gegner durch ständige Patrouillien an seinen empfindlich langen Nachschubwegen gestört. Dank ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit konnte die Schutztruppe schnell weite Strecken zurücklegen, was dann entscheidend war, wenn die Deutschen sich knapp einer Einkreisung entzogen und den Gegner so zwangen, seine Truppen mit großem Organisationsaufwand zu verlegen. Entscheidungsgefechte wurden möglichst vermieden, kleinere Treffen hingegen gesucht, um die Versorgung mit Waffen und Munition sicherzustellen. Bei den übergebenen Waffen vom 25. November 1918 handelte es sich fast ausschließlich um Beutestücke.

Der so geführte Krieg in Deutsch-Ostafrika ähnelte dem Burenkrieg, einem totalen Krieg, in dem sich Land und Bevölkerung der Kriegsführung unterordnen mußten und nur die endgültige Vernichtung der Verteidiger eine Entscheidung bringen konnte. Ausschlaggebend war 1918 jedoch die Niederlage auf dem europäischen Kriegsschauplatz, die zum Versailler Vertrag führte, der Deutschland verbot, Kolonien zu besitzen. Deutsch-Ostafrika wurde Völkerbundsmandat und faktisch unter Großbritannien, Belgien und Portugal aufgeteilt. Lettow und die Reste der Schutztruppe wurden bei ihrem Einzug in Berlin am 2. März 1919 von der Bevölkerung als "im Felde unbesiegt" gefeiert.

Die deutsche Schutztruppe, die sich selbst stolz "Afrikaner" nannte, beschäftigte jahrelang etwa 300.000 Briten, Belgier, Portugiesen und Südafrikaner mit ihren Kolonialsoldaten. Militärisch festgehalten wurden dadurch auch Tausende von Automobilen und Zehntausende von Reit- und Tragtieren. Für den Verlauf des Krieges hatte dieser einmalige Kampf der Schutztruppe wenig Bedeutung. Im Millionenaufgebot der Alliierten waren die 300.000 in Afrika stationierten Soldaten kein spürbarer Verlust.

Der Nimbus der Kolonialherren ging verloren

Die Kämpfe in den deutschen Kolonien müssen für den weiteren Gang der Geschichte als weltverändernd angesehen werden. Der innere Zusammenbruch der großen Kolonialreiche begann, als die eingeborenen Soldaten der Deutschen (Askaris) auf die der Briten schossen und erlebten, daß die "Weißen" sich auch gegenseitig umbrachten. Das bisher Imponierende an der Kolonialherrschaft ging dadurch für die Eingeborenen weitgehend verloren. Der Masseneinsatz afrikanischer, indischer und indochinesischer Soldaten auf dem europäischen Kriegsschauplatz gegen die deutsche Westfront, beseitigten die anerzogene "Scheu vor dem weißen Mann". Die Entkolonisierung nahm ihren Anfang, als die Weißen den Weltkrieg in ihre Kolonien trugen.

Die Erinnerung an die Schutztruppe ist im heutigen Afrika lebendiger als in Deutschland. Geradezu reliquienartig werden Erinnerungsstücke in den Familien ehemaliger Askari in Ehren gehalten, und das Lied "Heia, heia, Safari" erklingt an den Feuern, wenn Deutsche zu Gast sind. Der eine oder andere Askari, damals als neun- oder zehnjähriger "Signalschüler" im Troß der Schutztruppe, lebt noch in seiner eigenen Sagenwelt.

General Paul von Lettow-Vorbeck wurde bereits zu Lebzeiten als Legende behandelt. Gestorben ist er kurz vor seinem 94. Geburtstag am 9. März 1964.


 
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