© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/98  20. November 1998

 
 
Literatur: Hellmuth Karaseks "Spiegel"-Roman im Spiegel der Kritik
"Das war eine echt linke Nummer"
Thorsten Thaler

So viel Prügel muß einer erst mal wegstecken. Schon vor dem Erscheinen des als "Schlüsselroman" über den Spiegel angekündigten Buches "Das Magazin" von Hellmuth Karasek ging der Spiegel-Konkurrent Focus mit einer Indiskretion an die Öffentlichkeit. Der Text von Karasek wimmle nur so von "Stilblüten", bei einer Lesung des Autors vor Buchhändlern habe es "spöttische Reaktionen" gegeben, ließen die Münchner verlauten und zitierten einen Verlagssprecher bei Rowohlt, wonach bis zur Drucklegung des Werkes noch "erhebliche Veränderungen" am Text notwendig seien. Als das Buch dann Mitte September erschienen war, setzte es für Hellmuth Karasek, 64, Literaturkritiker, langjähriger Kulturchef des Spiegel und seit 1997 Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegel, ein paar weitere kräftige Ohrfeigen.

"Einen Roman nenne das, wer alle Hoffnung fahren läßt. Einen Schlüsselroman schon gar nicht…", urteilte die für die Sparte Belletristik verantwortliche Literaturredakteurin der Zeit, Iris Radisch. Der Kritiker des Focus, Werner Fuld, fragte sich, ob Karasek dieses Buch wirklich selbst geschrieben habe. "Wer diesen ebenso medienerfahrenen wie witzigen Journalisten kennt, wird entschieden bezweifeln, er könnte einen so abgrundtief schlechten Text abgeliefert haben." Seitenlang referiere Karasek längst erledigte Geschichten wie die Waldheim- und Barschel-Affären. Doch die erzählten "Schwänke aus dem klassischen Altertum des Journalismus" verursachten heute nur noch "bleierne Langeweile", so Fuld.

Schweres Geschütz fuhr auch die Welt am Sonntag auf, für die der Spiegel-Redakteur Wolfram Bickerich das Buch seines Ex-Kollegen rezensierte. Von einem Schlüsselroman könne bei Karaseks Werk keine Rede sein, nicht einmal von einem Roman, "denn es entbehrt jeder Handlung und jedes einigermaßen schlüssigen Geschehens", so Bickerich. "Es gibt keine Dramaturgie, keinen roten Faden und keine Entwicklung."

Der Spiegel selbst verhielt sich generös und kündigte seine Besprechung des Buches sogar mit einem gelben Streifen auf dem Titelblatt an. Im Heft kleidete der langjährige Spiegel-Reporter Peter Brügge seine Beurteilung dann vorsichtig in Frageform: "Wieso hechtet dieser sprachkritische Dr. phil. nach jedem Kalauer wie ein Torwart nach dem Ball? Was will er uns mit der Unmenge von Schweiß und Körperdünsten sagen, die aus ihm 418 Seiten lang kontinuierlich hervorbrechen? Nicht einmal im heißen Licht des ’Literarischen Quartetts" hat man Karasek je so transpirieren sehen." Trotzdem habe er nicht alles erfinden können, so Brügge. Karasek leiste sich deshalb "ein Recycling alter Bürowitze und Merkwürdigkeiten aus der Spiegel-Vorzeit".

Zu einer ähnlichen Wertung gelangte eine Woche später auch Wolfram Bickerich. Bei dem Buch von Hellmuth Karasek handle es sich um "eine Betriebsanleitung für den Spiegel von gestern, eine als Materialsammlung getarnte Bierzeitung mit Insidereien, die allenfalls den betriebsblinden Spiegel-Redakteur interessieren mögen" – oder eben Ex-Kollegen von Karasek wie Brügge und Bickerich.

Die schärfste Klinge führte der in Berlin lebende Satiriker Wiglaf Droste. Seinen Verriß lancierte Droste ausgerechnet in der zu Karaseks Einflußbereich gehörenden Tagesspiegel-Beilage, Ticket. "Etwa 12 Stunden veritabler Arbeits- und Lebenszeit muß man hergeben, bis man Hellmuth Karaseks Buch durchgelesen hat", nörgelte die passionerte Giftfeder und fügte hinzu: "Das ist keine schöne Arbeit und keine schöne Zeit." Fast könne einem Karasek leid tun, trat Droste ihm kräftig vors Schienbein, "so groß ist sein Ehrgeiz, und so gering sind seine Mittel".

Der Literaturkritiker Karasek reagierte auf die Kritik an seinem Roman bemerkenswert dünnhäutig. Verärgert keifte der für gewöhnlich durchaus charmante Dampfplauderer via Interview zurück: "Wieviel Wut muß da vorhanden sein, daß sich jemand bei Ticket einschleicht, bei einer Beilage, in der sonst nie, nie Buchkritiken erscheinen? Das war eine echt linke Nummer." Gekränkt kündigte Karasek Vergeltung an. Zur Strafe für Droste werde er dessen eigene Werke nicht mehr lesen, "das hat er sich jetzt verdient". Überhaupt hätten die Kritiken nur Leute verfaßt, "die alte Rechnungen begleichen wollten", erklärte der offensichtlich schwer getroffene Karasek. "Das ist purer Neid!"

Roger Willemsen, Vorzeige-Intellektueller des linksliberalen Medienestablishments, formulierte im Magazin der Süddeutschen Zeitung, Hellmuth Karasek habe "die Wucht, mit der er Leute verreißt, selbst selten erlebt". Das wird man nach der vernichtenden Kritik in den deutschen Feuilletons an Karaseks Erstlingsroman "Das Magazin" nun nicht mehr behaupten können.

Hellmuth Karasek: Das Magazin, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998, 432 Seiten, 45 DM


 
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