© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Einbürgerung: Weshalb die Integration von Millionen Ausländern kein Kinderspiel ist
Die Familie wird größer
Dieter Stein

Deutschland verleiht demnächst mehreren Millionen Ausländern deutsche Pässe. Verstünde sich ein Volk als eine Familie, wäre die Aufnahme von neuen Angehörigen eine ordentliche Feier wert. Wenn eine Tochter heiratet, wird der Erwählte von den Schwiegereltern aufgenommen, man duzt sich, die Distanz schwindet, man rückt zusammen. Damit ist der Fremde zum Verwandten geworden. Daß der Akt der Einbürgerung in Deutschland bürokratischer Art ist – und dann z. T. gegen den Willen der Betroffenen (Geburtsrecht) verliehen wird – ist unwürdig für die Deutschen und für die, die aufgenommen werden.

Viele Ausländer haben es verdient, daß sie Deutsche werden können. Neulich las ich in einer Reportage über einen 1961 nach Deutschland gesiedelten Türken, Mustafa Tasyran, der – kurz nach seiner Einbürgerung – am Tag der deutschen Einheit 1990 seine Wohnung und den Hausflur üppig schwarz-rot-gold schmückte. Die Nachbarn beschwerten sich: "Wir sind hier nicht der Reichstag und auch keine Behörde!" Die Zeitung beschrieb die Reaktion des Neubürgers: "Mustafa Tasyran war tief betrübt. Warum, fragte er sich, sind diese Leute denn nicht stolz auf ihr Land?"

In ein Volk, das nicht stolz auf sich sein will, sollen Millionen Ausländer "integriert" werden können? Warum sollen Ausländer die Zugehörigkeit zu einem Volk der Deutschen als freudiges Ereignis begreifen, die offenbar von den Alteingesessenen als lästig begriffen wird? Warum soll man sich überhaupt mit Begeisterung zu den Deutschen bekennen, die nur nationale Trauertage, aber keine nationalen Festtage zu kennen scheinen? Warum soll ein Türke angesichts einer entchristlichten Gesellschaft, deren Volkskirchen im Niedergang sind, deren Gottesdienste leer sind, seinen kraftvollen moslemischen Glauben aufgeben? Es ist also nicht verwunderlich, wenn große Ausländergruppen in Deutschland sich auf ihre Identität, auf ihre Religion, ihre Traditionen und Ihre Kultur besinnen.

Eine Bedrohung der deutschen Identität geht nicht von den Ausländern aus, sondern von der Kraftlosigkeit und Bindungsarmut der deutschen Gesellschaft selbst. Die "Normen der Industriegesellschaft", von denen Faruk Sen im Interview mit der jungen freiheit spricht (siehe Seite 3), reichen für einen Integrationsprozeß deshalb nicht aus, wenn vom bestehenden Staatsvolk keine Integrationskraft ausgeht.

Nirgendwo funktioniert die Einbindung von Zuwanderern besser als beispielsweise in Bayern, wo traditionelle Strukturen und Heimatbewußtsein am intaktesten sind. Die Explosion der Kriminalität unter jungen Deutschen, Drogenprobleme, Selbstmorde und Gewalt zeigen aber auch, daß selbst die Integration junger Deutscher in unser Wertesystem nicht mehr funktioniert. Wie soll das dann mit Ausländern gelingen?

Man kann nicht den Ausländern die Schuld geben, daß deutsche Regierungen den Zuzug nach Deutschland nicht früher gedrosselt haben. Otto Schilys Erkenntnisse kommen 20 Jahre zu spät. In vielen Großstädten sind in einzelnen Stadtteilen bereits Ausländerquoten erreicht, die Integration ausschließen und die Mehrheitskultur umkippen lassen. Schulunterricht bricht faktisch zusammen, Vermittlung von Kultur, Traditionen, Lehrstoff kann kaum mehr sichergestellt werden – ganz davon abgesehen, ob dies bei rein deutschen Klassen überhaupt noch gelang.

Es steht in Deutschland ein dünnes Netz auf dem Spiel, das die Menschen solidarisch zusammenhält und das an Verwandtschaft und nationale Gefühle appelliert: Zerreißt dieses Netz, wird diese Gemeinschaft wohl auch kein Grundgesetz mehr zusammenhalten. Damit ist nicht zuletzt die Demokratie in Gefahr.

Deutschland braucht für eine Integration von Ausländern dreierlei:

1.) Eine Idee von der Gemeinschaft, in die "integriert" wird. Das kann am ehesten die Idee des Staatsvolkes im Nationalstaat sein, das neue "Familienmitglieder" aufnimmt und selbstbewußt assimiliert.

2.) Die Probleme müssen ungeschminkt auf den Tisch: Schule, Ausbildung, soziale Sicherung, Religion, Kriminalität. Deutschland braucht einen öffentlich erstrittenen und vermittelten Konsens über die Spielregeln, zu denen die Integration stattfindet.

3.) Zum Schutz auch der integrationswilligen Ausländer sind drastische Maßnahmen zur Kontrolle und Bändigung des weiteren Zuzugs von Wirtschaftsflüchtlingen und zur Rückführung von straffälligen, integrationsunwilligen Ausländern notwendig.


 
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