© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Öcalans Lektion
von Peter Lattas

Wenn es doch so einfach wäre: Ein seit Jahren gesuchter Terrorist wird endlich in einem anderen Land geschnappt, man beantragt die Auslieferung, macht ihm den Prozeß und läßt ihn dann im Knast brummen. Von wegen. Bonn will den PKK-Chef Abdullah Öcalan, der aufgrund eines eben noch drastisch erweiterten deutschen Haftbefehls aus dem Jahr 1990 in Italien verhaftet worden ist, partout nicht haben.

Mit ihrem Zaudern macht die Bundesregierung sich unbeliebt. Zuallererst bei Italien, das für die Vollstreckung des deutschen Haftbefehls erhebliche diplomatische Verwicklungen mit der Türkei auf sich genommen hat. Ankaras theatralischer Premier Yilmaz hat Rom bereits "Vergeltung" und "ewige Feindschaft" geschworen und läßt Aufträge an italienische Firmen stornieren, weil die Europäer sich hartnäckig weigern, den gesuchten Kurdenführer an die Türkei auszuliefern. Und Bonn schweigt und sitzt die Frist für den Auslieferungsantrag einfach aus.

Daß Ankara Öcalan haben und aburteilen will, ist nur recht und billig. Schließlich ist es die Türkei, die unter dem 14jährigen Kampf der PKK leidet, der bisher 29.000 Tote gekostet hat und Jahr für Jahr 13 Milliarden Mark für die Stationierung von 300.000 Soldaten im Südosten des Landes verschlingt. Auch wenn Öcalan europaweit agiert und für Drogenschmuggel, Schutzgelderpressung, Mordkommandos gegen PKK-Dissidenten und Brandanschläge gegen türkische Einrichtungen verantwortlich zeichnet: Der Prozeß gegen ihn ist in erster Linie Sache der Türkei und verträgt kein "Stellvertreter-Verfahren" in Deutschland.

Fakt ist: Wenn in Deutschland ein "Stellvertreter-Prozeß" stattfindet, wird er von einem Stellvertreter-Bürgerkrieg begleitet. Nicht nur, daß die PKK ihre Bataillone wieder auf die Barrikaden schicken wird. Die über zwei Millionen Türken, die in Deutschland leben und von türkischer Boulevardpresse und türkischem Staatsfernsehen mit Haß auf die PKK geimpft werden, dürften kaum stillhalten. Wenn auf der Straße die PKK marschiert, spielen im türkischen Kindergarten die Knirpse "Hängt Öcalan!" Schöne, friedliche "Multi-Kulti"-Welt.

Selbst wenn also die einzig richtige Entscheidung fiele – Öcalan an die Türkei auszuliefern, mit oder ohne den Umweg über eine Auslieferung nach Deutschland – geschähe dies höchstwahrscheinlich aus den falschen Gründen. An dem Kardinalübel, nämlich der Erpreßbarkeit der deutschen Politik durch die selbstverschuldeten "multikulturellen" Zustände im eigenen Land, würde sich zudem nichts ändern. Wir sind nicht mehr Herr im eigenen Haus – das hat Öcalan uns mit seiner Barrikadenkriegern vor Jahren auf der Straße gelehrt. Als Arrestierter setzt er die Lektion jetzt fort.


 
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