© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/98  27. November 1998

 
 
Literatur: Erinnerung an den Kinderbuch- und Science-Fiction-Autor C.S. Lewis
Abenteuer in Narnia
Ulrich Kriehn

Vor einigen Jahren spielte Anthony Hopkins eine für ihn eher ungewohnte Charakterrolle in dem Film "Shadowlands", der die letzten Lebensjahre des englischen Schriftstellers und Literaturhistorikers C.S. Lewis behandelte. Es war berechtigt, einem der vielseitigsten und geistvollsten Denker dadurch eine Widmung zu geben. Denn Lewis schrieb nicht nur hochgradig anspruchsvolle Essays über theologische und philosophischeThemen, sondern auch spannende Science-Fiction-Romane, Kinderbücher und zwei Autobiographien.

Clive Staples Lewis wurde 1898 in Belfast geboren; schon als Kind begeisterte er sich für Märchen, Fabeln, Sagen, besuchte – wie in England üblich – eine standesgemäße Privatschule, war Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg, studierte anschließend mittelalterliche Literatur in Oxford und machte relativ schnell eine steile Karriere im akademischen Bereich, die schließlich zu einem Lehrstuhl in Oxford führte. Dort begegnete Lewis 1929 seinem Kollegen J.R.R.Tolkien, dem späteren Verfasser von "Der Herr der Ringe", einem epischen Werk, das in den 70er Jahren zu Recht zu einem Kultbuch avancierte. Die Begegnung mit dem gläubigen Katholiken Tolkien bewirkte eine fundamentale Änderung in Lewis’ Leben. Mit Tolkien konnte er sich auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau unterhalten, gleichzeitig eine Freundschaft fürs Leben schließen und Anregungen für eine christliche Existenz erhalten.

Lewis, der sich schon immer auch von einer religionswissenschaftlichen Seite den alten germanischen Mythen, besonders dem Tod Baldurs in der Edda gewidmet hatte, kam durch Tolkien zur Einsicht, daß die Evangelien einen Mythos beschrieben, der in der Wirklichkeit als historische Tatsache seinen Grund hatte. In einem der Gespräche mit Tolkien, die in der lesenswerten Tolkien-Biographie von H. Carter beschrieben werden, sagt Lewis: "...aber Mythen sind doch Lügen, wenngleich durch Silber geblasen... und Tolkien antwortet: "Du siehst einen Gegenstand und benennst ihn ’Baum‘. Du gibst den Dingen Namen, die du erfindest... und so wie das Sprechen eine Erfindung in bezug auf die Dinge ist, so auch der Mythos in bezug auf die Wahrheit..." Und Lewis: "Du meinst also, der Tod Christi sei ein Mythos, der in Wahrheit geschehen ist". Tolkien: "Genau".

Nach dieser Hinwendung zum christlichen Glauben, den Lewis fortan höchst undogmatisch und mit spitzer Feder in vielen Essays verteidigte (und heftig mit der sogenannten historisch-kritischen Methode des deutschen Theologen Bultmann abrechnete), schrieb er in Anlehnung an John Bunyans berühmten "Pilgrim Progress" sein erstes autobiographisches Werk "A Pilgrim’s Regress". In vergnüglicher Weise wird der Lebensweg eines suchenden Menschen durch die Vielzahl an philosophischen und ethischen Ideen des 20. Jahrhunderts geschildert; für Kenner philosophischer Gedanken ein Genuß, vor allem ist der junge Lewis herrlich respektlos mit den Größen, Freuds auf nur einen Punkt fixiertes Denken wird entlarvt, Marx , Rudolf Steiner u. a. werden ironisch zerissen, Barth kriegt sein Fett ab, und auch die Anfang der dreißiger Jahre sich bildenden faschistischen Bewegungen werden hintergründig und gleichzeitig prophetisch entlarvt. Was Gardner mit "Sofies Welt" umfangreicher und intensiver versuchte, liest sich bei Lewis geradezu locker, ohne daß etwa bei dem Kapitel über Hegel krasse Vereinfachungen aufträten; Lewis kannte sich in der Philosophie gut aus.

In den dreißiger Jahren bildete sich in Oxford unter der Führung von Lewis und Tolkien eine literarische Gruppe, die INKLINGS, die vor allem fasziniert waren von den märchenhaften Romanen des Schotten George McDonald, (sein bestes Werk "Lilith" ist im KlettCottaVerlag, Hobbit Press erschienen). George McDonald, der viele Anregungen von der Romantik erhielt, war ebenso wie Lewis und auch Tolkien überzeugter Christ, der in seinen Büchern seine Überzeugungen sprachlich brilliant und ausgefeilt vermittelte.

Lewis schrieb eine dreibändige Science-Fiction-Triologie – "Jenseits des schweigenden Sternes", "Perelandra", "Die böse Macht" – die neben anderen von dem Literaturwissenschaftler Gisbert Kranz heftig gerühmt wurde. In der Tat handelt es sich hier um ein Niveau in der sonst eher trivialen SF Gattung, das später vielleicht in Ansätzen nur Stanislaw Lem erreichte. Daß die Bücher durchweg hochgradig theologische Fragen behandelten und dies in einer Zeit, in der man sich mit dergleichen eher bedeckt hielt, zeigt, daß der Literaturwissenschaftler Lewis selbst auch Literatur verfassen konnte, ein an sich recht seltenes Phänomen.

Am berühmtesten wurden dann seine "Dienstanweisungen für einen Unterteufel", in denen in satirischer Weise die Versuche, den Menschen – der bei Lewis immer vom christlichen Menschenbild her interpretiert wird – durch alle möglichen Versuchungen zu zerstören, thematisiert werden. Neben einer umfangreichen theologischen Literatur, die sich wohltuend abhebt von der pietistischen Traktatliteratur einerseits und den gigantischen, aber leeren Wälzern der etablierten Theologie andererseits, schrieb Lewis einen Zyklus von Kindermärchen, der lange vor Michael Ende eine geglückte Kombination von Kinderbuch und religiöser Abhandlung ist. Selbst Die Zeit urteilte über die Narnia- Märchen, daß sie ein echter Gewinn für die Kinderliteratur seien, und auch der Erwachsene kann sich dem Reiz und Zauber dieser Geschichten nicht entziehen.

Es gelingt Lewis, ganz unbefangen aus dem reichen Schatz an Märchenmotiven zu schöpfen und gleichzeitig eine kosmische Theologie damit zu verbinden. Daß seine Figur des Löwen Aslan eine der interessantesten Deutungen der Person Jesu in der modernen Literatur ist, hat sich inzwischen auch in der literarischen Welt herumgesprochen, nachdem viele Gegenwartsschriftsteller sich literarisch der Person Jesu genähert haben. Und Lewis verliert nicht seinen Humor – die Satire auf Summerhill ist genial, und sein Spott über die Wissenschaft, die meint, nur im Detail liege die Wahrheit, und darüber das Ganze vergißt, ist mehr als berechtigt. 1960 heiratete Lewis die bereits schwerkranke Joy Davidman und verarbeitete seine Trauer über ihren frühen Tod in dem sehr persönlichen Buch "Über den Schmerz", in dem der eher zurückgezogen lebende Gelehrte seine Gefühle offenbarte.

Man muß bei Lewis nicht mit allem übereinstimmen – seine theologischen Ansichten und vor allem sein Gottesbild werde wohl immer kontrovers beurteilt werden, und dies von fundamentalistischen wie liberalen Kritikern gleichermaßen. Aber seine dichterische Kraft und vor allem die engagierte Art seines Schreibens, die souverän unterschiedlichste Gattungen beherrschte, werden auch weiterhin dafür sorgen, daß Lewis, der in Amerika und England wesentlich populärer ist als in Deutschland, seine Leser haben wird.


 
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