© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Geschichtspolitik: Die Walser/Bubis-Kontroverse nimmt schärfere Formen an
Eine deutsche Debatte
Werner Olles

Die sogenannte Walser/Bubis-Kontroverse hat seit Martin Walsers "Verteidigungs"-Rede an der Duisburger Universität, den in der FAZ publizierten "Offenen Briefen" von Klaus von Dohnanyi, besonders aber seit dem jüngsten Spiegel-Interview mit Ignatz Bubis an Schärfe zugenommen. Was eigentlich niemand für möglich gehalten hätte, nämlich daß Menschen völlig aneinander vorbeireden, ist damit eingetreten. In seinem Buch "Der Ernstfall" hat der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser eine solche Situation schon früher vorausgesagt: "Wir erleben das Ende der Verständigungsmöglichkeiten über das, was das geistige und religiöse Fundament unserer gemeinsamen Kultur sein könnte ... Die kulturelle Zersplitterung und Fragmentierung kann ein Ausmaß annehmen, daß die Menschen keine gemeinsame Sprache mehr haben, in der sie sich auch nur darüber verständigen könnten, worüber sie streiten wollen. Das ist unsere Lage!"

Walsers Versuch, mit der Geschichtslast und der Vergangenheit des deutschen Volkes qualitativ anders umzugehen als jene sich "seit Jahren in der Bewußtseinsarbeit" (Michel Friedman) engagierenden Zeitgenossen, packt uns in unserem Selbstverständnis. Er ist aber gleichzeitig auch eine Herausforderung an unser Denken und die erste Voraussetzung für einen offenen Umgang und eine schöpferische Auseinandersetzung mit der geistigen Tradition der Deutschen. Daß dies bislang so nicht möglich war, hat gewiß auch etwas mit jenem Phänomen zu tun, das der Historiker Heinrich August Winkler als "negativen Nationalismus, der, auch wenn er sich tausendmal besser vorkommt, kein bißchen besser ist als sein Gegenteil", bezeichnet.

Dieses Phänomen hatte für die 68er-Linke, aber auch für die bürgerliche Kohl-Regierung stets den gleichen Rang. Wenn etwa Bundeskanzler Gerhard Schröder bekennt, die Menschen müßten "gerne" zu einem eventuellen Holocaust-Denkmal in Berlin hingehen wollen, dann offenbart sich in einer solch unsäglichen Bemerkung einerseits eine Geschichtslosigkeit sondergleichen, andererseits aber auch jene von dem israelischen Historiker Saul Friedländer definierte "Normalität der Deutschen", die jetzt "ein normales Volk, eine gewöhnliche Gesellschaft, wie jede andere" sind.

Natürlich sind wir das nicht. Daran ändern Schröders famose Sprüche – für die Helmut Kohl von den Linken gesteinigt worden wäre – nichts, aber auch Ignatz Bubis’ Aufspüren eines "nationalen Touch" bei Schriftstellern wie Hans Magnus Enzensberger und Botho Strauß beweist nur, daß die Zerstörung des Nationalbewußtseins der Deutschen nach wie vor im vollen Gange ist. Solange Bubis, der von sich selbst sagt, Deutschland im Ausland zu verteidigen, Martin Walser wörtlich als "Munitionslieferant für Schönhuber, Frey und Deckert " diffamiert, kann er seiner Verantwortung , das Unbegreifliche des Holocaust, dieses Völkermordes, der nicht nur die Juden, sondern auch die Deutschen als Volk und Nation zerstörte, als eine unerhörte und unfaßbare Nihilisierung des Geistes zu erklären, nicht gerecht werden.

Die Geschichte allein mit Moral erklären zu wollen,wie Bubis das immer wieder versucht, reicht dabei nicht aus. Martin Walser hat in seiner Rede eben nicht das "Wegschauen"gepredigt, sondern – wie Salomon Korn in der FAZ schreibt – "die erstarrten Inhalte und Formen des kollektiven Gedenkens und Erinnerns" kritisiert. In Deutschland neigt man aber schon dazu – der Fall Jenninger hat dies seinerzeit exemplarisch aufgezeigt –, jede Art moderater Nachdenklichkeit in bezug auf Nationalsozialismus und Holocaust durch die Brille einer "politischen Korrektheit" zu sehen, die, so scheint es jedenfalls, langsam immer mehr Menschen als selbstzerstörerisch , antidemokratisch und antiintellektuell wahrnehmen.

Wenn dies so ist – und einiges spricht dafür – hat die "Walser-Bubis-von-Dohnanyi-Kontroverse" in der Tat eine Art intellektuelle Befreiung ausgelöst. Allerdings nicht dergestalt, wie Ignatz Bubis dies befürchtet, daß die Deutschen nun "wegschauen und verdrängen" und daß "es" in ihnen denkt. Die Rückbesinnung der Deutschen auf ihre Geschichte, die den Holocaust einschließt, kann nur geleistet werden in der Wiederfindung des deutschen Volkes in sich selbst. Die Beschädigung unserer Identität als Nation durch den Nationalsozialismus und den anschließenden Gesinnungsterror der PC muß gerade deswegen ein Ende haben, damit wir der Verantwortung für unsere gesamte Geschichte gerecht werden können. Dazu hat Martin Walser einen entscheidenden Beitrag geleistet.


 
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