© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Ausstellung: Bernhard Hoetger im Darmstädter Institut Mathildenhöhe
Sendungsbewußtsein und Hybris
Doris Neujahr

In der Weimarer Republik war der Bildhauer Bernhard Hoetger (1874–1949) eine Berühmtheit in seinem Fach. Heute ist sein Name in den Hintergrund getreten, obwohl seine Skulpturen nach wie vor in bedeutenden Museen präsent und seine Bauten in der Bremer Böttcherstraße oder das von ihm errichtete Grabmal von Paula Modersohn Becker in Worpswede berühmt bekannt sind.

Die aktuelle Hoetger-Ausstellung, die nach Bremen, Wuppertal und Berlin jetzt in Darmstadt gezeigt wird, könnte den Grad seiner Bekanntheit wieder steigern. Und das nicht nur wegen Hoetgers unbestreitbaren Talents, das sich neben der Bildhauerei auch auf die Gebiete Architektur, Malerei, Design und Kunstgewerbe erstreckte. Seine künstlerische Genese, die Rezeption, seine über den Bereich der Kunst hinausgreifenden Konzeptionen und sein Verhältnis zu hybriden Ideologien machen ihn auch zum Musterfall einer spezifischen Kunstauffassung im Deutschland der ersten Jahrhunderthälfte.

Bernhard Hoetger wurde 1874 in Dortmund geboren. 1900 ging er nach Paris, wo ihn Rodin tief beeindruckte Die prägnantesten Werke dieser Zeit sind die von der Tänzerin Loie Fuller angeregten Skulpturen, die eine suggestive Verschmelzung von Körper, Stoff und Bewegung ausdrücken. Wenig später ging er zu einem kompakten Kubismus über, dann verarbeitete er auch gotische Elemente. Am wichtigsten aber waren die Inspirationen, die er – ähnlich wie Picasso, Kirchner und Schmidt-Rottluff- vor dem Ersten Weltkrieg von der frühzeitlichen, insbesondere der ägyptischen Kunst empfing. Er gewann den kunstsinnigen Wuppertaler Fabrikanten August von der Heydt, den Großherzog von Hessen-Darmstadt und den Hannoveraner Keks-Fabrikanten Hermann Bahlsen zu Mäzenen.

1914 zog er ins Künstlerdorf Worpswede, wo er mit den Ideen von Sozial- und Lebensreformern in Berührung kam. Durch den engen Kontakt mit anderen Künstlern erschlossen sich ihm neue Betätigungsfelder. Um mit seiner Kunst das Alltagsleben wieder an kulturelle und natürliche Grundlagen heranzuführen, entwarf er Möbel und Gebrauchsgegenstände. Die Spuren der Fertigungsprozesse waren explizite Gestaltungselemente. Seine Stühle, Lampen, Zigarettendosen oder Mokkaservices machen bis heute einen erstaunlich "modernen" – nicht modernistischen – und überdies praktischen Eindruck. Hoetger gelang hier eine originelle Synthese von Tradition und Moderne. Beispielhaft für seine weitreichenden Planungen ist das Projekt einer – nach der ägyptischen Göttin benannten – "TET-Stadt", die von Hermann Bahlsen in Auftrag gegeben wurde und Arbeits- und Wohnwelt, Natur und Industrie harmonisch vereinen sollte.

Für Cafes in Bad Harzburg, auf Norderney und in Zandvoort (Niederlande) entwarf er ein rustikales Interieur; die Lokale trugen die geheimnisvollen Namen "Winuwuk", "Kigbi-mud" und "Muluru": Kunstschöpfungen, die auf germanische Vorbilder verwiesen und zugleich das Hochartifizielle dieses Archaismus betonten.

Noch größere Möglichkeiten boten sich Hoetger in den zwanziger Jahren durch den Bremer Kaffeefabrikanten Ludwig Roselius (1874–1943), der eine Erneuerung deutscher Kunst und Kultur aus dem Geiste "nordischer Bodenständigkeit" wollte. Roselius war nicht bloß Schwärmer, sondern auch vermögender Praxismensch, der die Bremer Böttcherstraße – damals eine enge, unansehnliche Gasse – aufkaufte und als architektonisches Großensemble wiedererrichten ließ, das Restaurants, Verlagshäuser, Ateliers, Ausstellungs- und Versammlungsräume, Museen, Buchhandlungen beherbergte. Die Straße wurde zu einem Mittelpunkt gesellschaftlichen Lebens, von hier aus sollten Impulse in die Gesellschaft ausstrahlen. Roselius bezeichnete die Böttcherstraße als Zeichen eines "starken Deutschtums" und einen "Versuch, deutsch zu denken, einen Willen, um eine neue und größere Zeit für Deutschland zu wecken".

Es ist bemerkenswert, daß er mit dieser Aufgabe statt eines biederen Traditionalisten einen der Moderne aufgeschlossenen Künstler wie Hoetger beauftragte. Das Paula Modersohn-Becker-Haus, in dem die von Roselius erworbenen Bilder der 1906 verstorbenen Malerin untergebracht wurden, war eindeutig expressionistisch inspiriert, was zu heftiger Kritik ("phallusartig") führte.

Hoetger errichtete ein "Haus Atlantis" für ein "Väterkundemuseum", das ausersehen war, die Abstammung sämtlicher Hochkulturen vom blond-blauäugigen Ariertum zu dokumentieren. Er benutzte die Materialien Eisen, Teakholz und Glasbausteine; vor allem das lichterfüllte Treppenhaus, ein runder Schacht, in dem sich die Treppe aus Eisenbeton um drei Pfeiler windet, macht einen kühnen, ja sogar avantgardistischen Eindruck; insgesamt entsprach der Bau weit eher den Vorstellungen der Neuen Sachlichkeit als einem schwächlichen Romantizismus. Und selbst wo Hoetger mit dezidiert "nordischen" Vokabeln arbeitete, war seine künstlerische Kraft zu groß, um einfach einer Ideologie dienstbar zu sein: Der Heilsbringer im Zentrum der mächtigen Fassaden-Skulptur "Lebensbaum" am Haus Atlantis war "kein arischer Edelrecke", sondern "ein Gnom oder eine Totemfigur (...), eine Gestalt ganz im Sinne des expressionistischen Suchens nach der primitiven Urform" (Arnd Strohheim). Im Dritten Reich geriet Hoetger, der zwar "völkisch" eingestellt war, sich aber "unpolitisch" verhielt, nicht nur wegen seiner Denkmäler für Bremer Novemberrevolutionäre und den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert unter Beschuß, auch seine Böttcherstraßen-Architektur machte ihn verdächtig. Hitler sprach sich auf dem Nürnberger Parteitag 1936 scharf gegen "diese Art von Böttcherstraßen-Architektur" aus. Die Angriffe galten paradoxerweise einem Künstler, der sich der NS-Bewegung verbunden fühlte und sich – unter anderem mit einer Hitler-Büste – von ihr in die Pflicht nehmen ließ.

Hoetger lebte 1933/34 in Italien, wo er der Auslandsorganisation der NSDAP beitrat. Das Parteigericht kam 1938 zur Überzeugung, daß Hoetger "aus ehrlicher Begeisterung für die Sache des Nationalsozialismus in die Partei eingetreten" war, schloß ihn aber aus, letztlich weil seine Kunst nicht mit den Vorstellungen des NS-Staates kompatibel war.

Bernhard Hoetger starb 1949 in der Schweiz. Nach dem Krieg wurde er von Anhängern als "Verfolgter" dargestellt, unter Hinweis darauf, daß seine Druckgrafik "Judaskuß" 1937 auf der Münchner Hetzausstellung "Entartete Kunst" der öffentlichen Verfemung feilgeboten wurde. Das ist ein genauso großes Mißverständnis wie der Vorwurf, Hoetger sei ein Wegbereiter, gar ein Parteigänger der NS-Ästhetik gewesen. Seine Anstrengungen, die verschiedenen Genres der bildenen Kunst zu einem Gesamtkunstwerk zu bündeln und seine Wirksamkeit in den sozialen und politischen Raum hinein zu erweitern und die Kunst in den Rang einer Art zeitgemäßen, universellen Religion zu erheben, machen den "Fall Hoetger" zu einem Paradigma der deutschen Kunst, das im Dualismus "Faschismus-Antifaschismus" nicht aufgeht, zumal sein Schaffen von den politischen Irrtümern essentiell unbeeinflußt blieb.

Den verwirrenden Zusammenhang von künstlerischem Sendungsbewußtsein und politisch-ideologischer Hybris kennt man übrigens von Künstlern mit kommunistischem Parteibuch zur Genüge. Die Ausstellung und der ausgezeichnete Katalog dazu signalisieren die Bereitschaft, sich auch mit Künstlern, die mit der anderen totalitären Spielart Kompromisse schlossen, gerecht und ohne erhobenen Zeigefinger auseinanderzusetzen. Insofern besteht die Chance, daß die jetzt für Hoetger geweckte Aufmerksamkeit über den Zeitraum der Ausstellung hinausreicht.

 

Die Ausstellung ist bis zum 11. April 1999 im Institut Mathildenhöhe, Darmstadt, zu sehen. Der Katalog (512 Seiten, ca. 500 Abbildungen) kostet 58 DM.


 
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