© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Oberzaucher-Schüller / Linhardt / Steiert: Giacomo Meyerbeer und Richard Wagner
Denunziationen eines "Sclaven"
Konrad Pfinke

Wagner und die Juden – dieses Thema vermag die Gemüter nach wie vor zu beunruhigen. Ein Bayreuther Symposium beschäftigte sich damit im Sommer; fast gleichzeitig erschien eine Edition, die das Verhältnis Richard Wagners zu Giacomo Meyerbeer beleuchtet. Daß relativ wenig über die wahre, innere Beziehung des deutsch-französischen Großmeisters der Grand Opéra zu seinem Kollegen bekannt ist, ist bedauerlich, aber die Quellenlage ist in Sachen Meyerbeer/Wagner nicht besonders gut. Kein Grund, nicht einmal alle Dokumente chronologisch zusammenzustellen.

Nun haben Gunhild Oberzaucher-Schüller, Marion Linhardt und Thomas Steiert vom – nahe Bayreuth gelegenen – Thurnauer Forschungsinstitut für Musiktheater einen Band herausgegeben, der dem von Wagner in übelster Weise denunzierten Meister Gerechtigkeit widerfahren läßt. Die Frage, ob Meyerbeers Verschwinden von den Bühnen der Welt – nachdem er im 19. Jahrhundert als König der Oper den Musiktheaterbetrieb fraglos dominierte – mit Wagners Verleumdungstaktik zusammenhängt, oder ob sich da nicht Hörgewohnheiten verändert haben, die nur mittelbar auf Wagners Konto gehen: diese Frage soll nicht beantwortet werden. Statt dessen entwerfen die Autoren dieses Bandes ein bruchstückhaftes, gleichwohl reizvolles Bild, das den Leser in die ferne Welt des 19. Jahrhunderts entführt. Da geht es um Publikums-interessen, Vermarktungsstrategien, Theatersoziologie, auf deutsch: um Klavierbearbeitungen von Opernschlagern, um Wagners Wirken in Riga, um "Inszenierte Geschichte" in den Opern Meyerbeers. Manuela Jahrmärker erläutert, wie das argumentatorisch wirre "Judentum in der Musik" seinerzeit aufgenommen wurde; der Beitrag enthält auch eine zeitgenössische Auslegung, die das Werklein als Parodie deutet – eine falsche, aber intelligente Interpretation, die uns Wesentliches über Wagners Denunziationsmittel verrät.

In den Kern der Auseinandersetzung stößt Marion Linhardt, wenn sie Wagners Begegnung mit Meyerbeer skizziert. Bekannt ist ja allemal, daß sich Wagners radikale Abwendung, die sich im Pamphlet "Das Judentum in der Musik" äußert, auch dem schlechten Gewissen verdankt, das Meyerbeers souveränes (allerdings nicht sonderlich erfolgreiches) Eintreten für den Pariser no-name später provozierte. Statt Meyerbeer zu ignorieren, von dem er bis zum "Ring", ja bis zum "Parsifal" Modelle übernahm (man denke an das Katastrophenfinale der "Huguenots" und an die Zauberszene in "Robert de Diable"), und den Ruhm Meyerbeers als das zu erkennen, was er einzig war – berechtigt –, flüchtete sich Wagner in den Verfolgungswahn, der nur in den späten Träumen der Bayreuther Jahre vom schlechten Gewissen kritisiert wurde. "Wirkung ohne Ursache" – dieser verleumderische Bannspruch in "Oper und Drama" über des Großmeisters Werke wurde fatalerweise immer wieder von den Wagnerianern zitiert, um ein durchaus nicht geheimes Vorbild, dem sich der junge Wagner als "Sclave" andienen wollte, vergessen zu machen.

Der Hauptteil des Bandes besteht nun in den Quellen, die die "verlorengegangene Stimme" des Musiktheaters wieder zum Klingen bringen sollen. Die Herausgeber haben so ziemlich alle Dokumente kompiliert, die vor allem von Heinz und Gudrun Becker in ihren Meyerbeer-Quellenbänden, von den Wagner-Briefausgaben und von Helmut Kirchmeyers "Situationsgeschichte der Musikkritik" zusammengestellt wurden. Dummer- (oder intelligenter)weise hielt sich Meyerbeer immer bedeckt, wenn es um persönliche Äußerungen über Kollegen ging; irritierend ist allerdings, daß hier eine so wichtige Aussage wie die zum Pariser "Tannhäuser"-Skandal fehlt, die Meyerbeers Fernsein von jeglicher antiwagnerischen Cliquenwirtschaft belegt. Auch Wagners Einschätzung wurde nicht abgedruckt, die noch einmal seine fixe Idee eines "Antagonisten" Meyerbeer bezeugt. Nicht notwendig war es jedoch, die Tagebucheinträge Cosima Wagners und Auszüge aus "Mein Leben" (außer zitatweise in den Aufsätzen) zusammenzustellen. Objektiven Quellencharakter haben diese Zeugnisse im Fall Meyerbeer kaum. Hinzu kamen Dokumente von Wagners Freunden, etwa von Theodor Uhlig, der vom "reichen Kunstjuden" schwadronierte. Einträge in Meyerbeers Taschenkalendern müssen längere Betrachtungen ersetzen; für Psychohistoriker bieten die Notizen des Mannes, der noch nach Meinung des jungen Wagner "Taten der Musik" schrieb und damit das Musikdrama vorwegnahm, kaum das Rechte.

"Wir grüßten uns kalt, ohne miteinander zu sprechen." So skizzierte Meyerbeer die letzte Begegnung mit Wagner, der sich daraus in "Mein Leben" einen eigenen Reim machte. "Meyerbeer Wagner": es war eine schwierige, faszinierende Beziehung. Nun hat man’s kompakt und preiswert in der Hand, und es ist nur zu bedauern, daß der Vielschreiber Wagner gegenüber dem diskreten Meyerbeer quantitativ bedeutend besser abschneidet.

Gunhild Oberzaucher-Schüller / Marion Linhardt / Thomas Steiert: Meyerbeer Wagner. Eine Begegnung, Böhlau Verlag, Wien 1998, 308 Seiten, 69,80 Mark


 
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