© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/98  04. Dezember 1998

 
 
Trotzdem rechts
von Götz Kubitschek

Da ist zum Beispiel Sisyphos. Er rollt seit geraumer Zeit einen schweren Stein den Hang hinauf, immer den gleichen Stein, immer den gleichen Hang. Er verrichtet diese seltsam unfortschrittliche Arbeit im Tartaros, in der Unterwelt. Sie wurde ihm von den Göttern aufgebürdet, weil er ihnen auf der Erde zu oft ein Schnippchen geschlagen hatte. Nun rollt Sisyphos also seinen Stein, der nicht leicht ist, den Hang hinauf und jedesmal, wenn er ihn fast bis ganz nach oben gebracht hat, muß er aufgeben, der Stein donnert den Weg zurück. Dann liegt er unten bereit für den nächsten Versuch. So simpel und so schwer ist die Arbeit des Sisyphos. Auf dem Weg nach unten beeilt er sich nicht besonders, aber er versucht auch nicht, sich zu verkrümeln oder mit Hades, dem Herrn der Unterwelt, eine Diskussion anzuzetteln über Sinn und Unsinn der seltsamen Arbeit. Sisyphos tut seine Arbeit, unablässig und ohne großartiges Geschrei drumherum.

Es scheint eine Vielzahl möglicher Kombinationen zu geben im Bereich rechtsnationalkonservativer Selbstbetitelung. Hätte man Humor, gäbe man sich mit dem Einheitsetikett "faschistisch" zufrieden, mit dem die andere Seite geschickt Begriffsproblematiken umsegelt. Aber Humor ist nicht jedermanns Sache. Ich plädiere für den Begriff "rechts", weil das provoziert und nicht altbacken klingt. "National" dagegen klingt ein bißchen altbacken, dazu ein wenig verraucht und dumpf; da wäre "nationalistisch" schon besser, angriffslustiger und arroganter, man bekommt dann bloß ständig vorgeworfen, das Wort sei nicht vollständig, die Mitte ("sozial") habe man feige unterschlagen, aber doch mitgedacht. "Konservativ", zuletzt, ist jeder Mensch, wenn es um seinen Bereich geht.

Also "rechts". Die Begriffsbestimmung beginnt mit einer Entrümpelung, denn die beiden Autoren Angelika Willig (43/98) und Jürgen Hatzenbichler (44/98) haben Inhalte verhandelt, die nichts mit einer neurechten Einstellung zu tun haben. Etliche Briefe der JF-Leserschaft zeigen aber, daß beide Autoren trotz ihrer groben Vereinfachungen und ungerechtfertigten Verurteilungen eine Art Nerv getroffen haben. Darin liegt ihr Verdienst: Die Ernüchterung über eine konzeptionslose Neue Rechte sitzt bei beiden tief, im einen Fall führt die Analyse sogar zur öffentlichen Ankündigung des Abschieds aus der Szene. Die Beiträge von Angelika Willig und Jürgen Hatzenbichler unterstützen – obwohl nicht auf Parteipolitik gemünzt – das Gefühl eines Zusammenbruchs, das nach den Bundes- und Landtagswahlen die politische Rechte erfaßt hat und wiederum ist es ihr Verdienst, die Ursachen für das politische Scheitern nicht auf böse Feinde oder Unterdrückungsmechanismen zu schieben. Sie halten beide auf unterschiedliche Weise Abrechnung mit der Neuen Rechten und finden genügend Schwachpunkte in der Szene selbst, haben es also nicht nötig, externe Faktoren zu bemühen. Trotzdem beruhen beide Beiträge auf grundlegenden Mißverständnissen und ungenauen Beobachtungen.

Angelika Willig wirft der Neuen Rechten beispielsweise vor, sie lasse sich von Illusionen leiten und sei so als Ideologie für junge Leute verführerisch. Diesen schlechten Kern teile sie mit der Linken. Auf die Linke mag dieser Vorwurf zutreffen; ein großer Teil der Neuen Rechte läßt sich jedoch nicht von Illusionen leiten: Er macht sich gar keine. Er ist im Kern pessimistisch in seiner Einstellung zur Welt und zum Menschen, und das verträgt sich nicht mit Illusionen. Im Schnitt sollte ein wacher Nachmittag genügen, sich über die Grundsubstanz des Menschen, des "langen Schweins", klar zu werden und auf die Seite der Pessimisten zu wechseln. Nur wer eine pessimistische Einstellung erworben hat, wenigstens mit einer großen Portion Skepsis seinen Mitmenschen gegenübertritt, kann die Lage realistisch einschätzen. Deshalb zieht Angelika Willigs Behauptung nicht, die Neue Rechte sei im Kern realitätsblind. Aus demselben Grund ist auch ihre andere Behauptung falsch, die Neue Rechte sei tot: Nur der Teil, der sich jemals Illusionen gemacht hat, ist tot. Der Teil aber, der sich keine Illusionen machte und der keine Ideologien als Antrieb nötig hat, lebt weiter, ohne am Durchmarsch der Illusionen zugrunde gehen zu müssen.

Angelika Willig schreibt auch, es mache sich derjenige lächerlich, der das Nationale auf seine Fahnen schreibe. Dies sei nicht umstritten oder nonkonform, sondern indiskutabel. Auch Jürgen Hatzenbichler sieht rundum nur noch Gesellschaften, aber keine Nationen mehr. Dieses Urteil ist ebenso hart wie gewagt. Vor allem verleugnet es jede europäische und außereuropäische Entwicklung. Es ist anzunehmen, daß sich weder Kroaten, noch Bosnier oder Serben indiskutabel und lächerlich vorkamen, als sie ein paar Jahre lang unter den Geburtswehen ihrer Nationen litten. Für lächerlich befand man diesen Prozeß höchstens von München oder Berlin aus. Auch Tschechen und Slowaken, ebenso Balten, Weißrussen, Kasachen und viele andere halten ihre Nationen weder für indiskutabel noch für lächerlich.

Immerhin räumt Angelika Willig der Rechten einen kleinen Überlebensspielraum ein. Er fällt aber zwischen den Polen Pathologisierung und Kriminalisierung ein wenig eng aus. Sich daraus nicht befreit zu haben, sei das Versagen der Rechten. So gesehen stecke die Neue Rechte noch in den Kinderschuhen und sie werde darin steckenbleiben, denn erwachsen werden könne nur jemand, der sich vom Glauben seiner Jugend gelöst habe. In dieselbe Kerbe haut Jürgen Hatzenbichler. Er findet zwischen bürgerlichem Kotau und NS-Gewäsch nicht viel, das eine intellektuelle Herausforderung bedeuten könnte für einen jungen, denkenden Rechten. Seine Beschäftigung mit der Konservativen Revolution bedauert er, wirft sich selbst vor, an einem "rechten Paralleluniversum" mitgebastelt zu haben, das jämmerlich und eigentlich schizophren geraten sei.

Beide Beiträge zielen auf ein tatsächlich existierendes Problem der Neuen Rechten: Radikale Ideen und Lösungen wurden und werden diskutiert, revolutionärer Geist mit dem Vorsatz, alles anders und besser zu machen, hatte vor allem in den ersten Jahren nach der Wende Konjunktur: Die Rechte sah sich historisch bestätigt, die Neue Rechte witterte Potential bei einer vermeintlich unverdorbenen Jugend. Die Denker der Konservativen Revolution wurden als geistige Vorfahren studiert – zu wenig wirklich kritisch und ohne echte Weiterentwicklung. Neurechte Theorien und Ansätze blieben oft sehr vage und tragen noch immer einen romantischen Zug. In diesem Sinn steckt die Neue Rechte in einem seltsamen Abhängigkeitsverhältnis zur Alten Rechten, aus dem sie sich nur mühsam freistrampelt. Bei einem Teil kreist das Denken unablässig um die Instrumentalisierung des Holocaust zum Zwecke der anhaltenden Entmündigung der deutschen Nation. Ein anderer Teil lehnt technischen Fortschritt und Aufklärung konsequent ab und träumt von einer agrarischen und handwerklichen Renaissance. Der großen Mehrheit innerhalb der Neuen Rechten ist aber klar, daß beide Themen die politische, wirtschaftliche und kulturelle Diskussion unserer Zeit nicht entscheidend prägen.

Verschiedene Autoren der JUNGEN FREIHEIT haben in der Vergangenheit der Neuen Rechten eine "permanente Bauchnabelbetrachtung" vorgeworfen und damit sehr plastisch ein Abhängigkeitsverhältnis von den Themen der Alten Rechten beschrieben. Innerhalb der Neuen Rechten wächst aber die Bereitschaft, neue, für eine Rechte ungewohnte Fragen zu stellen, in einer Zeit der großen oppositionellen Chance die Frage nach der Feigheit in den eigenen Reihen zum Beispiel. Die Zeit für Selbstgefälligkeit ist abgelaufen.

Jürgen Hatzenbichler und Angelika Willig fehlt die Geduld für den Entstehungsprozeß einer Neuen Rechten. Sie verstehen neurechte Abhängigkeiten und Entgleisungen nicht als Notwendigkeiten und begrüßen ungewöhnliche, verrückte Gedankengänge nicht als Kreativität und Experiment. Uns allen muß es doch recht sein, daß sich ein temperaturerhöhter junger Kopf zuallererst einmal eine Front sucht, einen Widerstand innerhalb einer weichen, linksliberalen Umgebung, daß er sich die Ohren heiß redet und vor lauter Aktivismus das Schlafen vergißt.

Hatzenbichler nennt seine Bilanz "erschütternd" und verabschiedet sich. Angelika Willig wird zuletzt fromm: "Wenn der Mensch sich überhaupt veredeln läßt, dann nur gleichberechtigt und in Freiheit." Sie spricht damit aus, was die Neue Rechte nicht sein sollte: Sie ist mit Sicherheit nicht die Erziehung des Menschengeschlechts nach frommen Wünschen. Rechts-Sein bedeutet, Hierarchien anzuerkennen. Siegmar Faust (JF 45/98) hat den Hinweis gegeben, daß der Egalitätsgrundsatz der Freiheit als Gleichheit vor dem Gesetz zu lesen sei. In vielen anderen Bereichen darf die Rechte die Grundüberzeugung nicht aufgeben, daß es Hierarchien gibt, Leistungsabstufungen. Um beim Beispiel der neurechten Theoriebildung zu bleiben: Wer eine gewisse Zeit lang verschiedene rechte Publikationen gelesen hat, kann ohne Schwierigkeit ein Dutzend herausragender Autoren nennen. Pathetischer: Es gibt eben Geister ersten Ranges. Ihre Beiträge und Bücher garantieren neue Gedanken, durchdachte Analysen, wer sie liest, erhält nicht nur die x-te, langweilige Bestätigung der eigenen Meinung, sondern neue Ansätze, über die er nachdenken kann. Genauso leicht wird jeder aufmerksame Leser Autoren nennen können, die ein wenig skurril sind, andere, die regelmäßig den roten Faden verlieren und viele, die mit jedem neuen Text zum selben Ergebnis kommt, egal, ob sie einen politischen Kommentar verfaßen oder eine Filmkritik.

Ich möchte keine Autoritätshörigkeit predigen. Ich möchte aber eine Stärken-Schwächen-Analyse vorschlagen, die wohl jeder für sich betreiben muß. An deren Ende kann die Einsicht stehen, daß nicht jeder zu jedem Thema Bahnbrechendes zu sagen hat. Deutlicher: Viele Diskussionen scheitern daran, daß ein Teilnehmer eine abstruse Theorie vertritt, die im Extremfall gar nichts mit dem Thema zu tun hat. Der Größenwahn rechter Kleingeister ist atemberaubend: Oft reicht eine schlanke Formel aus, die Entwicklung der Geschichte und den Ausgang der nächsten Wahlen zu erklären. Weil einfache Formeln genügen, ist der Größenwahn oft gepaart mit einer wiederum atemberaubenden Denkfaulheit, als Argument bleibt oft nur der Verweis auf den gesunden Menschenverstand. Geistige Hierarchie anzuerkennen, würde helfen, viele abstruse Theorien vom Tisch zu wischen.

Rechts zu sein bedeutet in diesem Zusammenhang auch, den Geist über die Materie zu stellen. Angelika Willig spricht resignierend davon, daß nur der persönliche Verzicht die Macht des Geld-Teufels unterlaufen könne. Pessimistisch fügt sie hinzu: "Was aber nicht geht: die ganze Nation zum Verzicht verdonnern zu wollen." Mit dieser Einschätzung bewegt sie sich klar auf realistischem und rechtem Terrain: Ein Rechter würde schon hin und wieder gerne die ganze Nation zu etwas verdonnern, er weiß aber gleichzeitig, daß es nicht geht. Unnötig ist jedoch, dieser Einsicht gleich die eigene Auflösung in der breiten Masse folgen zu lassen.

Mit Blick auf die Unfähigkeit, sich geistig realistisch einzuschätzen, muß man einer Wendung von Ernst Jünger erinnern: "Wir sind durch eine liberale Erziehung verpfuscht und müssen sehen, wie wir uns wieder heraushelfen." Der Liberale hängt – im Gegensatz zum Rechten – den unterschiedlichsten frommen Wünschen nach. Armin Mohler verzeiht den Liberalen daher nicht, daß sie "eine Gesellschaft geschaffen haben, in der ein Mensch danach beurteilt wird, was er sagt – und nicht danach, was er tut". Der Liberale verlebt unsere ethische Substanz, unsere gemeinschaftstiftenden Grundlagen, verjubelt Geld, das er nie verdient hat, für seine frommen Menschheitsideen und ist nach jeder Pleite auf der Suche nach den widrigen Rahmenbedingungen. Vor allem läßt er alles gelten.

Der Rechte hingegen sagt, was er für gut und schlecht hält, für richtig und falsch, für vorbildlich und schädlich. Diese Maßstäbe legt er vor allem an sich selbst an, sonst wär’s ja wieder nur Gesinnung. So ist es Haltung. Er kann nicht nur ein Sammelsurium an Gleichgewichtigem anbieten, er kann und muß erziehen. Dabei glaubt er aber nicht an den Fortschritt durch Erziehung bis zu einem glücklichen Endzustand. Auch die Erziehung fängt immer wieder von vorne an. Solche Einstellungen haben wenig Konjunktur in einer satten Zeit.

Wobei Sisyphos nun unten angekommen ist. Er spuckt in die Hände und fängt wieder von vorne damit an, den Stein zu wälzen. Wozu mit Hades quatschen? Irgend jemand muß die Arbeit tun. Wer Augen im Kopf hat, findet seinen Stein. Gefragt, wie er seine Haltung beschreibe, antwortet Sisyphos: aktiver Pessimismus. Rechts eben.


 
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