© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
Kolumne:
Frohe Botschaft
von Klaus Motschmann

Alle Jahre wieder werden zur Weihnachtszeit von fanatisierten Bußpredigern und ideoligisierten Zeitgeistlichen bewegte Klagen über die Not und die Ungerechtigkeit in aller Welt geführt. Es sei unverantwortliche Gedankenlosigkeit, wenn nicht gar unerträglicher Zynismus, sich angesichts dieser Not gegenseitig "frohe Weihnachten" zu wünschen und in diesem Sinne auch zu feiern.

Auch zu Weihnachten bestätigt sich die alte Spruchweisheit, daß man sich ein gutes Gewissen am besten dadurch verschafft, daß man anderen Menschen, am besten einem ganzen Volke, ein schlechtes Gewissen macht. Über die Jahrhunderte hinweg war es guter Brauch, daß in Kriegszeiten zu Weihnachten die Waffen ruhten und wenigstens für einige Tage Besinnung einkehrte. Für die Kämpfer mit der Moral-Keule gibt es diese Besinnungspause nicht!

Nun wird niemand ernsthaft bestreiten wollen, daß die Art und Weise unserer Weihnachtswünsche und -feiern tatsächlich Anlaß zum Nachdenken über den Sinn dieses Festes bieten sollte. Doch wo geschieht das in der vorherrschenden veröffentlichten Meinung?

Es besteht weitgehendes Einvernehmen darüber, daß der Sinn des Weihnachtsfestes gewiß nicht darin besteht, die Menschen in einen Konsum- und Kaufrausch zu versetzen und der Wirtschaft dringend benötigte höhere Umsätze zu bescheren. Es besteht jedoch kaum Einvernehmen, daß der Sinn des Weihnachtsfestes auch nicht darin besteht, ein Kernstück des christlichen Glaubens und damit der christlich-abendländlischen Tradition bestimmten ideologischen Zwangsvorstellungen anzupassen und Schuldkomplexe zu kultivieren.

Das exakte Gegenteil wird in der Weihnachtsbotschaft ausgesagt und sollte den Menschen in der Verkündigung der christlichen Kirchen auch wieder zugesagt werden: daß es nicht nur menschliche Schuld, sondern auch eine göttliche Schuldvergebung gibt. Deshalb lautet auch die zentrale Aussage der biblischen Botschaft "Siehe, ich verkündige euch große Freude" – und nicht: wir verkündigen euch "große Probleme" und immer neue Schuld. Deshalb heißt Evangelium auch "Frohe Botschaft".

Gerade wenn wir die Schuld und die Not unserer Zeit bedenken, sollte in den Ansprachen zum Weihnachtsfest endlich wieder etwas von der Hoffnung und Zuversicht vermittelt werden, wie es über die Jahrhunderte hinweg gerade in Zeiten schwerer Not und Bedrängnis der Fall war, um dem Volke Orientierung im Dunkel der Zeit zu bieten.


 
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