© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
Dietrich Schwanitz
Therapeut der Familie
von Dieter Stein

Dietrich Schwanitz hat in den Konflikt Walser-Bubis eingegriffen – und ein Element eingeführt, das in dieser todernsten Diskussion bislang fehlte: Humor. So ernst der Gegenstand des Streites ist, so hilfreich kann es sein, ihn mit Distanz und Ironie zu betrachten, wie es Schwanitz tut. Schwanitz erklärt den tobenden Streit, in den mittlerweile von Dohnanyi, Marcel Reich-Ranicki und andere hineingeraten sind und in dem verbal nur so die Fäuste fliegen, daß es kracht, zu einem schlichten "Familienkonflikt", "in dem der Mann behauptet, er trinke, weil seine Frau immer meckere, und die Frau entgegnet, sie meckere, weil er immer trinke". So schwierig das Thema der kollektiven Identität sei, so Schwanitz, es unterliege einer Dramaturgie, "die die Beteiligten verwirrt und Ironie geradezu provoziert."

Der 1940 in Werne geborene Lehrer-Sohn wuchs bei mennonitischen Bergbauern in der Schweiz auf und studierte Anglistik, Geschichte und Philosophie in Münster, London, Philadelphia und Freiburg, wo er promovierte und sich über das Drama und die soziologische Rollentheorie habilitierte. Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren führten ihn längere Zeit in die USA, bis er schließlich nach Hamburg zurückkehrte, wo er bis 1997 Englische Literatur lehrte.

Aufsehen erregte Schwanitz durch seinen von Sönke Wortmann verfilmten Roman "Der Campus", in dem er das engstirnige Milieu seiner Universität in Hamburg auf die Schippe nahm. In einem neuen Roman "Der Zirkel" legte er in diesem Jahr zum selben Thema erneut nach.

Bereits 1997 hatte Schwanitz in einem Spiegel-Essay den Finger in die Wunde der "infantilen Nation" gelegt. Bis zur Wiedervereinigung habe Deutschland "unter der Aufsicht seiner Erziehungsberechtigten" gestanden. Schon damals verglich er die Nation mit der "politikfernen und weltflüchtigen Idylle einer innigen Kleinfamilie". Als habe er den Konflikt zwischen Bubis und Walser vor Augen, schrieb er, Konflikte würden "überwölbt von einer Rhetorik der Betroffenheit". Man sei mehr interessiert, "unschuldig auszusehen, als die Probleme zu lösen".

Der Literaturwissenschaftler ortet in der "Betroffenheitsroutine" (Walser) eine Wiederbelebung der romantischen Tradition der Sentimentalität aus dem 18. Jahrhundert. Diese Betroffenheit, so Schwanitz sei eine "psychologische Seuche, die dann eintritt, wenn man sich aus Verantwortlichkeiten schleichen will." Und: "Man will nicht als Täter dastehen, der angeklagt wird, sondern man will nur als Leidender dastehen, der immer in irgendeiner Weise Opfer ist."

Schwanitz und Walser ist somit nicht an einem "Verschweigen" oder "Vergessen" gelegen, sondern an der Entrümpelung einer sinnentleerten und ritualisierten Sprache. Doch die Erfahrung zeigt: "Wenn man sich in die Arena begibt, muß man mit Prügel rechnen." (Schwanitz)


 
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