© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/98  11. Dezember 1998

 
 
Rainer Barzel: Die Tür blieb offen
Im Zeichen der Ostverträge
Ines Steding

Wenn Rainer Barzel in seinem jüngsten Werk "Die Tür blieb offen" erneut das bewegende Treiben der Jahre zwischen 1969 und 1972 seziert, wird der Leser zurückversetzt in die Drangsale eines geteilten Landes und einer geteilten Stadt: Die federführend von Egon Bahr in Moskau ausgehandelten Ostverträge, die Pattsituation im Bundestag und das berühmt-berüchtigte Mißtrauensvotum mitsamt der SPD-Zwangsenthaltung. Diese bilden die "Rahmenhandlung". Dazu kommt eine bundesweit aufgeheizte Stimmung, das auf Demonstrationen monoton skandierte "ra-ti-fi-zie-ren". Zum Reizthema war auch geworden, daß die CDU/CSU-Oppositon unnachgiebig die Aufnahme des in der Grundgesetz-Präambel niedergelegten Wiedervereinigungsgebots in das Vertragswerk einforderte; wobei sich die Union ansonsten, so jedenfalls Barzel, im Interesse des friedlichen Zusammenlebens keineswegs gegen das Abkommen sperrte.

Am 17. Mai 1972 bekamen die Ost-Verträge schließlich mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit rechtswirksames Leben eingehaucht: Indem sowohl der Brief zur deutschen Einheit als auch die Entschließung des Bundestags hierzu Bestandteil des gesamten Vertragswerks wurden, nahm das verfassungsmäßig gesicherte Selbstbestimmungrecht der Deutschen über ihr Staatsgebilde keine Einbußen mehr.

Daß so "die Tür offen blieb", mit Konsequenzen auch für den 9. November 1989, belegt Barzel akribisch, was ihn bisweilen nur noch als Stichwortgeber zwischen Dokumenten aller Art figurieren läßt. Die offengehaltene deutsche Frage also ein Werk der Union und das Lebenswerk ihres damaligen Oppositionsführers Barzel? Die Quellenlage dazu ist zwar eindeutig, Egon Bahr sieht sie – in einer Buchbesprechung zu Barzels Darstellung für die Welt – aber anders. Ob ein Minimum an Sachlichkeit von jemand zu erwarten ist, der durch den Autor "gerichtet" wird, darüber mag man streiten.

Auch gewisse Lässigkeiten – mögen sie nun am Autor oder Lektorat liegen – dürfen nicht unerwähnt bleiben. Naturlich ist Heiner Geißlers "Zugluft" 1990 erschienen. Der damalige Bevollmächtigte von Schleswig-Holstein beim Bund heißt korrekt Dorenburg, der Überbringer des Briefs zur deutschen Einheit in Moskau Stabreit trägt den Vornamen Immo. Wer ist eigentlich Monsieur Bing oder "unser Generalkonsul"? Auch fehlen um Barzel herum einige mehr beschreibende Worte über die bedeutenden Mitstreiter und -gestalter: Wem sagen heute noch Werner Marx oder Freiherr von Guttenberg (Karl Theodor) etwas? Was genau waren die Aufgaben von Aloys Mertes, Kurt Plück oder Joachim Dorenburg? Hier hätte ein Personenregister geholfen. Dafür sollte der Leser im inhaltlich dichten Vorwort nicht über das Zuviel an Seele des Autors im Blick auf seine dritte Frau stolpern.

In der Rückschau auf das Gelesene verspürt man das Schwungrad, das Politik, Politiker und nicht zuletzt die Parteien antreibt. Drei besondere Stränge seien hier herausgegriffen: Barzel war tief mit der innerdeutschen Frage verwoben; typisch, sein "Programm en miniatur" lautete "mit beiden Beinen im Westen, die Hände ausgestreckt zum Osten".

Indes, die Aufarbeitung innerdeutscher Politik in den 70er und 80er Jahren ist dürftig. Dazu gehört auch die Frage, warum die Kohl-Regierung 1983 den von der sozialliberalen Koalition 1972 abgeschafften "Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung" nicht erneut einsetzte.

Wenn der Autor über die von der Opposition maßgeblich mitgestaltete Ostpolitik berichtet, fällt sicher auch die eine oder andere Weisheit für die aufs Neue einarbeitungsgenötigten bürgerlichen Opponenten ab: "Die parlamentarische Demokratie kennt viele Möglichkeiten", doch selbst Barzel wäre bei allem Finassieren gescheitert, hätte er nicht auch sein unverrückbares ideelles Reservoir gehütet: Im ständigen Austausch mit den Verbündeten bezog er "Kraft aus dieser westlichen Verpflichtung".

Nicht zuletzt verschafft er immer wieder auch Einblicke, wie es fernab der Idee, in den Niederungen des politischen Alltags, in Parteigremien oder in der Fraktion zugeht. Die andauernd zu leistende Überzeugungsarbeit nennt er abgeklärt "Arbeit auf tägliche Kündigung". Freilich es keimt der Verdacht, daß der eher wertungsscheue Barzel zu mancher prallen Vita seiner "Parteifreunde" mehr sagen könnte. Ines steding

Rainer Barzel: Die Tür blieb offen, Bouvier, Bonn 1998, 211 Seiten, 32 Mark


 
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