© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Dokumentation: Bernd Rabehls Rede bei den "Bogenhauser Gesprächen" über nationalrevolutionäre Ansätze 1968 und die heutige Lage der Deutschen
"Ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden"

Die antifaschistische Linke is watching you. Eine wohl eher linksradikale Zeitung erschien im Oktober mit dem Titel: "Die Linke beobachtet die Rechte" und informierte ihre Leserschaft, daß "Rabehl", ein "Altlinker", vor rechtsradikalen Kreisen in Prag ein Referat über den Gedanken der nationalen Revolution innerhalb der Studentenbewegung gehalten hätte. Dieser "Rabehl" war nun allerdings über 15 Jahre nicht in Prag. Aber dieses Referat würde ihn sehr interessieren. Es gibt also Kräfte innerhalb der traditionellen Linken, die eine bestimmte Diskussion verhindern wollen. Es scheint fast, als sei das Büro der Desinformation innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit (MFS) und innerhalb der Westabteilung der SED noch intakt. Sicherlich gibt es Denkweisen, die auf gleichen Bahnen laufen.

Niemand weiß heute eindeutig, was linke und rechte Positionen beinhalten. Fest steht, daß es in den Extremfällen eine reaktionäre Linke und eine reaktionäre Rechte gibt, deren Träume und Illusionen von einer Erziehungs- und Führerdiktatur und der Feinderklärung gegen Andersdenkende nicht so grundsatzlich unterschieden wären. Gemeinsam wäre ihnen die totale Mobilmachung gegen den vermeintlichen Gegner, um dadurch bei den eigenen Parteigängern so etwas zu bewirken wie Weltanschauung und Glauben und die Bereitschaft, für die "Sache" ohne Wenn und Aber zu streiten.

Eine derartige "Mobilmachung" will Denk- und Diskussionsverbote erreichen. Bestimmte soziale Widersprüche und Brennpunkte sollen nicht benannt werden: etwa daß in Zentraleuropa ein Friedenszeitalter sich dem Ende zuneigt, das seit 1945 bestanden hatte, daß die Bürgerkriege des Nahen Ostens, Nordafrikas, der Türkei, Jugoslawiens, Rußlands ihren Einzug halten. Nicht primär die Asylanten- und Flüchtlingsströme aus der ganzen Welt bedrohen den ethischen und moralischen Zusammenhalt der zentraleuropäischen Völker, sondern der Import der Partisanenformationen der internationalen Bürgerkriege und Kriegsschauplätze geschieht durch den Zuzug hochorganisierter und gleichzeitig religiös oder politisch fundamentalistisch ausgerichteter Volksgruppen, die keinerlei Interesse haben, sich in den Gastländern zu integrieren oder sich ruhig zu verhalten. Diese Länder werden genutzt als strategische Rückzugs- und Versorgungsgebiete, als eine Art "befreite Gebiete", wo Steuern eingetrieben, Rekruten ausgehoben werden, Kämpfer sich erholen können, Schulung und militärtaktische Ausbildung erfolgt und ganze Volksgruppen militärisch und politisch geformt werden. Stadtteile, Straßenzüge, dörfliche Gebiete werden herausgebrochen aus dem geographischen und politischen Zusammenhang und neu definiert. Die Bürgerkriegskonstellationen werden hineingetragen in die jeweils europäischen und nationalen Gemeinschaften. Mit dieser "Besetzung" gehen Hand in Hand illegale Geschäfte, Drogenhandel, Bestechung, Korrumpierung von Polizei und Behörden, illegaler Menschenhandel und über die fundamentalistische Ausrichtung von Politik und Religion der Aufbau eigener Verwaltung, Recht und Moral.

All das trifft nicht nur auf die Kurden und die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) zu. Unterschiedliche Gruppen, Partisanenverbände und religiöse Gemeinschaften aus Nahost, Nordafrika, asiatischen Ländern, der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Rußland verhalten sich ähnlich. Die Zuwanderung erfolgt, um in Europa Rückhalt zu finden für eigene politische Ziele, aber vor allem, um den Krieg in den eigenen Ländern vorzubereiten oder fortzusetzen und hier so etwas wie eine Staatsgründung zu vollziehen mit eigener Steuer- und Militärhoheit, eigenen Gesetzen, Religionen, Justiz und "Beamten". Allein schon dadurch werden die europäischen Städte und Dörfer Kriegsgebiete, die jeweils nur "beruhigt" sind, jedoch Schlachtfeld werden, sollte es deutschen Truppen einfallen, als "Friedensmacht" dort in den fernen Ländern zu intervenieren. Dadurch gewinnen die auswärtigen Kriege und Konflikte in Zentraleuropa Aktualität. Die militärische, militante und fundamentalistische Abschließung der einzelnen Volksgruppen von den Gastgebern und die gleichzeitig artikulierte Feindschaft zu den nationalen Werten Westeuropas und Deutschlands säen Zwietracht, Feindschaft und "Fremdenhaß". Sie führen auch zur Ghettoisierung und Zerreißung der europäischen Groß- und Kleinstädte. Hinzu kommt die wachsende Kriminalisierung, die sich in den Grauzonen der Bürgerkriegsfronten oder im Rahmen der Konstituierung der Keimformen von fremder "Staatlichkeit" im Rahmen der europäischen Union vollzieht.

Es ist also nicht primär der deutsche Fremdenhaß oder die Angst vor Veränderung und Umwälzung, die die deutschen Vorbehalte gegen die "Fremden" schüren, sondern deren Verhalten und Demonstration, die deutsche Gesellschaft jeweils nur zu nutzen für private oder gruppenspezifische Sonderinteressen. Diese Zerreißung und Ghettoisierung eines Landes kann nicht – wie in den USA – aufgefangen werden durch die "Weite" des Landes oder durch die Konzentration dieser Fremden auf bestimmte Regionen, Städte oder Stadtteile. In Europa bedeutet diese politische Überfremdung die grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur, vor allem dann, wenn die Zersetzung der nationalen Identität bereits so weit fortgeschritten ist durch die kapitalistische Umwertung der Werte wie in Deutschland.

Dieses Problem der Überfremdung und der Auflösung einer nationalen Kultur soll nicht besprochen werden. Die Antifa-Linke steht hier bewußt in einem Bündnis mit bestimmten Medien im In- und Ausland, die deutsche Kulturintelligenz in die Schuldfrage der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg einzubinden. Würde dieses Anliegen einer Tabuisierung der deutschen Frage aufgehen, wären auch die herrschenden Eliten handlungsunfähig, die auf die Kritik und die Stimmungen im Lande angewiesen sind. Erst bei dieser Unbeweglichkeit in der nationalen Frage würden Extrempositionen wie ein Rettungsanker wirken: etwa auf die Ausweitung eines Sozialstaates in die Prämissen eines traditionellen Sozialismus zwischen Fürsorge und Polizeistaat hinzuarbeiten. Dann würden die landespolitischen Bündnisse zwischen SPD und PDS Zielpunkte signalisieren.

Im Falle Öcalan hat der deutsche Staat bereits kapituliert. Auf Barrikadenkämpfe, brennende Autos, Demonstrationen, Aufzüge klagender Frauen und Kinder, Krawalle in Hamburg, Berlin, Dortmund oder Düsseldorf sind Polizei und Bundesgrenzschutz, Justiz, aber auch die neue Regierung nicht vorbereitet. Da ist es schon besser eine Art "Russel-Tribunal" zu veranstalten, wo über die Situation in der Türkei gesprochen werden kann und Deutschland ausgeblendet bleibt.

Aufbrüche

Die nationale Frage spielte bereits in den sechziger Jahren eine Rolle bei der Konstituierung einer neuen Opposition. Sie war damals vor allem antiamerikanisch und antirussisch eingestimmt. So gesehen gehörten die "Nationalrevolutionäre" Dutschke und Rabehl zu keinem Zeitpunkt zur traditionellen Linken. Deren Denken war beeinflußt durch die russische Revolution und durch die realsozialistischen Experimente in der UdSSR und in der DDR. Zurückzufinden zu den nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit war ein Anliegen des antiautoritären Aufbruchs dieser Zeit. Für Dutschke etwa war die Sowjetunion, die zwischen weltrevolutionären Aufbrüchen und despotischer Restauration verharrte, anfällig für eine innere Auflösung. In den Strudel einer derartigen Dynamik würde sofort die DDR mitgerissen werden, weshalb eine revolutionäre Linke immer auch gesamtdeutsche und nationalrevolutionäre Ziele verfolgen mußte. Dabei orientierte er sich an dem 17. Juni 1953 und an der Plattform dissidenter Marxisten um Wolfgang Harich im Herbst l956. Der Arbeiteraufstand wurde gesehen als ein Abschied der alten deutschen Arbeiterbewegung, die für die zukünftigen Revolutionäre folgende Botschaft hatte: den Absolutheitsanspruch der SED nicht anzuerkennen und auch nicht zu dulden, daß sowjetische Herrschafts- und Ausbeutungsformen installiert blieben im Osten. Endlich zurückzufinden zur Solidarität, Offenheit, Freiheit, Rätedemokratie, Arbeiterkontrolle, zu einer Kultur von Verantwortung und Gerechtigkeit, schien Auftrag zu sein für einen neuen revolutionären Anfang. Nach dieser Sichtweise wurde auch Harich interpretiert. Die Intelligenz mußte diese Erbschaft der Arbeiterbewegung übernehmen. Sie war so etwas wie Übersetzer, Bewahrer und Verkünder und legte dadurch den Keim eines nationalrevolutionüren Aufbruchs. Aus der sozialen Mitte kamen schon deshalb keinerlei Impulse, weil der Mittelstand durch die NS-Diktatur kompromittiert war, im Osten enteignet wurde und im Westen sich dem Diktat der Besatzungsmächte unterwarf. Er war fett und impotent. Nach dem Scheitern der Arbeiterbewegung lag die Last der Verantwortung auf den Schultern einer unabhängigen Intelligenz.

In Vietnam demonstrierte in den sechziger Jahren die USA, daß sie die geopolitischen Grenzziehungen von 1945 in Asien und Europa gegen die nationale Unabhängigkeit verteidigte. Parteien und Staat hatten sich im Westen der nordamerikanischen Hegemonie unterworfen. 1961 hatten die "Fluchthelfer" Dutschke und Rabehl diese Koexistenz zwischen USA und Sowjetunion schmerzlich verspürt. In der Solidarität mit Vietnam wurden ab 1965 die Ziele einer "nationalen Befreiung" auf Deutschland übertragen. Die Demonstrationen gegen die nordamerikanische Kriegspolitik wurden die wichtigen Motoren einer antiautoritären Bewegung. Alle kulturrevolutionären Impulse hatten hier ihren Ursprung.

Beim Trauerzug mit dem Leichnam von Benno Ohnesorg von Berlin nach Hannover nach dem 2. Juni 1967 stellte sich heraus, daß die DDR-Jugendlichen auf den Autobahnbrücken standen und den West-Berliner Studenten ihr Mitgefühl mitteilten. Nicht FDJ oder SED hatten sie hierher befohlen, über die Westsender hatten sie erfahren, was passiert war. Es gab die ersten Anzeichen einer deutsch-deutschen Revolte gegen die bestehenden Ordnungen. Deshalb wurde in West-Berlin am 17. Juni 1967 im Festsaal der "Neuen Welt" in der Hasenheide an den Arbeiteraufstand von 1953 erinnert. Gegen den Protest der Traditionalisten wurde das Erbe der Streikenden von 1953 vorgestellt und deutlich gemacht, daß die nationale Idee jeweils erneuert wurde von den widerständigen Schichten gegen herrschende Lethargie und Verzweiflung. Das waren 1953 die Arbeiter, 1967 die antiautoritären Studenten.

Im gleichen Monat fand in den Kreisen von SDS und Republikanischem Club eine Disputation über die "Freie Stadt Westberlin" statt. Dutschke wollte eine studentische Bewegung in eine Volksbewegung übertragen. West-Berlin sollte in Zentraleuropa so etwas werden wie Hongkong für Asien. Diese Teilstadt sollte Experimentierfeld sein für ost-westliche Verbindungen in Wirtschaft und Politik, gleichzeitig sollte der Keim der Subversion nach West- und Osteuropa getragen werden, um jeweils die Hegemonie der Großmächte zu untergraben. Die USA schienen durch Vietnam geschwächt, und die Sowjetunion schien unfähig zu sein, sich über Reformen zu modernisieren. Der Vietnamkongreß vom Februar 1968 stand bereits unter der Zielsetzung, Keimformen einer europäischen Befreiungsfront zu legen, um die Großmächte und ihre Kollaborateure aus Zentraleuropa zurückzudrängen. Revolutionäre Gruppen aus Frankreich, Italien, England, Irland, Spanien waren anwesend, aber auch Repräsentanten aus Polen und der CSSR. Die Demonstration vor den amerikanischen Kasernen in Lichterfelde sollte Symbolcharakter gewinnen: draußen demonstrierten die Studenten, drinnen sollten die schwarzen Soldaten den Befehl verweigern. Die Großmacht USA sollten als "Papiertiger" vorgeführt werden. Es schien an der Zeit zu sein, die Großmächte aus Zentraleuropa zu vertreiben. Der italienische Großverleger Feltrinelli finanzierte ein Internationales Forschungs- und Nachrichteninstitut (INFI), das die lokale Politik und Propaganda koordinieren sollte mit dem illegalen Aufbau nationaler Befreiungsgruppen. Ein Putsch der NATO gegen die europäischen Demokratien schien bevorzustehen.

Traditionelle Sozialisten, Parteigänger der SEW und SED oder der illegalen KPD, aber auch die unterschiedlichen Geheimdienste in Ost und West setzten alles daran, dieses Projekt zu zerschlagen. Am 11. April 1968 wurde auf Dutschke ein Attentat verübt. Führerpersönlichkeit und Motor der Radikalopposition wurde in einer Situation herausgeschossen, wo über ihn der politische Zusammenhang hergestellt wurde. Mit einem Schlag zersprang die innere Einheit der Opposition. Die einzelnen Führergruppen konkurrierten um die Nachfolge. Erst jetzt entstanden die unterschiedlichen Initiativen, die in die verschiedenen K-Gruppen mündeten. Die Radikalopposition taumelte zurück in die Bürgerkriegsfronten des Kalten Krieges.

Neubeginnen

Dutschke blieb sich später immer bewußt, daß die Radikalopposition zerschlagen wurde bzw. in die Auflösung getrieben wurde, weil die Zielsetzung der nationalen Revolution bestanden hatte und dagegen von unterschiedlicher Seite Front gemacht wurde. Die Überwindung der deutsch-deutschen Spaltung und die Besinnung auf die nationale Integrität sollte innerhalb der Linken Tabu-Thema bleiben. Die Idee einer nationalrevolutionären Überwindung der Teilung Deutschlands wurde mit allen Mitteln bekämpft. Im Milieu der maoistischen ML-Parteien tauchte zwar der Gedanke der nationalen Befreiung auf. Er blieb jedoch reduziert auf die Stalin’sche und chinesische Nationalitätenpolitik, die die Ziele der zentralen und imperialistischen Politik der Partei und des Staates gegen die nationalen "Minderheiten" verfolgte. Die Kopie in Deutschland hatte keine Werte und Grundlagen, etwa der Arbeiterbewegung von 1953 in der DDR, die die nationalrevolutionären Prinzipien bestimmte. Sie reproduzierte lediglich den Konflikt zwischen China und Rußland auf deutschem Boden. Für Dutschke bestand kein Zweifel, daß die Radikalopposition eine grundlegende Niederlage erfahren hatte, unter anderem auch deshalb, weil nationalrevolutionäre Ziele aufgegeben worden waren.

In der Zeitschrift Das Da überdachte er seine Position nicht zufällig in den Jahren 1976/77. Die Ausweisung von Wolf Biermann und die Verhaftung von Rudolf Bahro durch die DDR-Behörden zeigten ihm, daß die entstehende DDR-Opposition immer noch unter dem Bann des "17. Juni" stand und die Positionen dieses Streiks jetzt von einer dissidenten Intelligenz ausgesprochen wurde, die sich dieser Tradition bewußt blieb. Die großen "Kongresse" an der Technischen Universität Berlin thematisierten diesen Zusammenhang. Es wurde ein Bahro-Komitee gegründet, das sich für die Freilassung des Dissidenten einsetzte und gleichzeitig die Programmatik einer neuen Radikalopposition überdenken sollte. Das Ministerium für Staatssicherheit war mit seinen Führungsoffizieren und Agenten, zusammen etwa 30 Leute, von Anfang an dabei, wie die über 100 Akten der Bearbeitung "Konferenz" belegen. Der ostdeutsche Geheimdienst war sich bewußt, wo der wunde Punkt einer neuen Radikalopposition lag. Die nationalrevolutionäre Rückbesinnung konnte Mittel sein, die Opposition aus der Zerrissenheit und dem Sektenzustand herauszuführen und tatsächlich Einfluß zu nehmen auf den laufenden Zerfallsprozeß der DDR. Dutschke übernahm die Einschätzung sowjetischer Dissidenten, daß die UdSSR das Jahr 2000 nicht erreichen würde. Der Kollaps dieser Großmacht mußte in Zentraleuropa die DDR in den Strudel der Auflösung reißen, aber auch die politischen Verhältnisse der Bundesrepublik erschüttern.

Dutschke war bemüht, eine derartige Opposition bündnisfähig zu machen mit konservativen und nationalen Gruppen. Er setzte deshalb bei der Konzipierung einer grünen und ökologischen Partei auf ein Bündniskonzept, das die Parteigänger des traditionellen Sozialismus aussparte. Die Kader von DKP und ML-Parteien sollten nicht mit einbezogen werden in den Aufbau einer neuen Opposition, weil sie entweder im Auftrage von MfS und SED handelten oder auf die Prinzipien von Kadersystem und Erziehungsdiktatur fixiert waren. Die jugendlichen Mitläufer und Sympathisanten dieser Parrteien waren willkommen, teilzuhaben an dem Konzept des neuen Bündnisses.

Um einen Ausgleich zu den links eingestimmten Exponenten einer grünen Partei zu schaffen, dachte Dutschke daran, auf die konservativen Kreise von CDU/CSU um Gruhl, die Aktionsgemeinschaft unabhängiges Deutschland (AUD), Burschenschaften und und konservative Zirkel und Bürgergruppen zuzugehen. Ihn interessierten dabei die konservativen Tugenden von Verläßlichkeit, Aufrichtigkeit, Verantwortung, aber auch die tiefe Verbundenheit zu Natur und Heimat. Derartige Tugenden waren deshalb bedeutsam, weil Zerfall und Sektenkrieg der Linken alle solidarischen Beziehungen zersetzt hatten durch gegenseitigen Haß, Denunziation, Neid, Hinterhältigkeit und Feindschaft. Der Bezug zu den konservativen Kreisen hatte auch den Sinn, die Opposition herauszuführen aus den studentischen Jugendmilieus oder aus dem Dunstkreis von Bildung und öffentlichem Dienst. Unterschiedliche soziale Schichten sollten erreicht werden, um aus dem Bann herauszukommen, immer nur der Sozialdemokratie zuzuarbeiten und diese bürokratische Dienstpartei mit Ideen aufzufrischen wie 1968.

Wichtig war auch, die ökologische Frage einer Bewahrung der natürlichen Existenzbedingungen des Menschen zu verbinden mit der nationalen Frage und mit der Demokratisierung eines Sozial- und Machtstaates, der sich immer mehr ausweitete und alle Lebensäußerungen schier erdrückte. Am 24. Dezember 1979 ertrank Dutschke in der Badewanne, und so kam es, daß die entstehende grüne Partei Auffangbecken wurde der Bankrotteure der ML-Gruppen und des traditionellen Sozialismus, aber auch von jungen Karrieristen, die sich den langen Weg zu den Pfründen des Staates abkürzen wollten. Alle konservativen Kräfte wurden schnell herausgedrängt. Bei der deutschen Wiedervereinigung spielte die Partei deshalb auch keine Rolle. Heute ist sie primär West- und Stadtpartei und Bestandteil der unterschiedlichen Staats- und Kommunalbürokratien.

Abgesang

Die "psychologische Aktion", von der die amerikanischen Deutschlandspezialisten 1944/45 sprachen, die nationale Tradition aufzulösen, die Eliten zu entmachten und auszutauschen, die Kultur und die psychologische Disposition der Menschen zu verändern und vor allem Institutionen zu schaffen, die der Dynamik eines modernen Kapitalismus entsprachen, ist 1998 längst verwirklicht. So wie es keine Klassen- und Arbeiterkultur mehr gibt, so existiert in Deutschland kaum noch eine nationale Identität. Schon aus diesen Gründen scheiterte jede politische Konzeption, die sich auf die nationale Frage berief. Deutschland ist heute "offener Raum", der sich prägen läßt von außen und der Politik nur als Marketing oder Inszenierung erträgt. Deshalb dominiert das Bild von der multikulturellen Gemeinschaft der Nationen, Völker, Religionen und Kulturen, ein Reklamespot, denn real existieren derartige Gemeinsamkeiten nirgendwo auf der Welt, weder in Kapstadt, New York, Peking, Moskau oder Rio de Janeiro. Es ist eine Fiktion wie die "Völkerfreundschaft" der Ostbürokraten und ein Element von Machtpolitik, um zu verbergen, daß in dem Maße, wie die Regierbarkeit derartiger Räume unmöglich wird, Korruption und Kriminalität wachsen und die einzelnen Banden, Partisanen, Gruppen, Religionen ihr Terrain abstecken. Ein Volk, eine Mischung aus Masse, Konsument, Käufer, Klientel, muß sich das bieten lassen, denn es besitzt keinerlei Kraft mehr, eigene Interessen zu formulieren. Die Eliten haben ihre Verantwortung deligiert an Großbürokratien und Verwaltungsakte. Sie verhalten sich als Kaste, Klüngel oder Clique, die den inneren Beziehungen von Zugriff, Selbstbedienung, Gefolgschaft und Selbstversorgung genügen. Machterwerb ist Glücksfall, die richtigen Beziehungen zu haben und nicht mehr Ergebnis von Verantwortung, Wissen oder Qualifikation Diese Dilettanten haben nur ein Ziel, möglichst lange an der Macht zu bleiben. Deshalb müssen die Wahlen manipuliert werden, finden große Reklamefirmen Einsatz, werden Wahlgeschenke verteilt und Feste gefeiert, und es geht immer darum, neue Wählerschichten zu finden. So sollen 16jährige teilhaben am Wahlklamauk und werden die unterschiedlichen "Einwanderer" verdeutscht, früher die Kasachstandeutschen für die CDU, jetzt die bunten Völker der Türken und Nordafrikas für Grüne und SPD. Es geht gar nicht mehr um "Integration" und um Besinnung bei der Diskussion über das Verhältnis zwischen Fremdenanteil und deutscher Bevölkerung. Die Dilettanten wollen ihre Macht sichern.

So kann es auch nicht ausbleiben, daß die großen Mobilisierungen und Kriegsvorbereitungen von diesen "Eliten" entweder nicht bemerkt oder schöngeredet werden. Die europäische Vereinigung ist ein Werk der Bürokraten. Die Völker und Nationen haben keinerlei Anteil. Ein derartiges Werk kann unter diesen Voraussetzungen nur gelingen, wenn die wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand für die Mittelschichten erhalten bleibt. Gelingt das nicht, entstehen Absatzbewegungen, die in Italien, Frankreich oder England nationale Züge aufweisen werden, in Deutschland jedoch lediglich Verzweiflung hervorrufen. Und die Kriegsvorbereitungen in Nahost und Jugoslawien? Die Deutschen an die Front? Durch die Einbindung der Grünen in die Regierung verliert die Friedensbewegung in Deutschland an Substanz. 1966 mußten die Amerikaner alle Pläne aufgeben, Bundeswehr nach Vietnam zu schicken. Jetzt kann deutsches Kanonenfutter wieder eingesetzt werden. Aber die Kulturintelligenz und die Parteieliten reden nicht darüber. Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg soll alle kommenden Verbrechen überdecken, und ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden, zumal es von "Eliten" beherrscht wird, die von "außen" geprägt werden und keine innere Verantwortung tragen.

Dort, wo Völker keinerlei Kultur oder Identität mehr besitzen, ist keine Entscheidung zum Kurswechsel möglich. Agonie und Anomie sind angesagt. So gesehen haben die Fremden, die nach Deutschland fliehen, sogar recht, sich nicht anzupassen, denn um selbst nicht zu verschwinden in Dekadenz und Lethargie, wird es notwendig sein, die eigene politische Identität zu pflegen und sich vorzubereiten auf die Kriege im eigenen Land.

 

Prof. Dr. Bernd Rabehl, 60, war ein enger Weggefährte Rudi Dutschkes und gehörte zu den führenden Köpfen im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Heute lehrt der Soziologe am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin


 
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