© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52 u. 53/98  18. Dezember / 25. Dezember 1998

 
 
Gerald Reischl: Im Visier der Datenjäger
Der gläserne Mensch
Holger von Doberneck

Je näher das Jahrtausendende rückt, desto beklemmender wird das Szenario, das George Orwell schon für das Jahr 1984 in dichterischer Phantasie vorweggenommen hat. Der Fortschritt der elektronischen Datenverarbeitung und der technischen Überwachungssysteme läßt Möglichkeiten entstehen, die den Schriftsteller blaß aussehen lassen. Nicht nur, daß der Mensch immer mehr ausgeleuchtet und überwacht werden kann, auch die Betrugsmöglichkeiten sind durch die Ausgabe von Magnetkarten, Computerchips und Plastikgeld enorm gewachsen, so daß tatsächlich so etwas wie der gläserne Mensch entsteht.

Wie eine Fliege sitzt der Mensch im überwachten Computernetz des "global village", und Satelliten können vom Himmel seine Spur Meter für Meter verfolgen. Dabei ist noch nicht einmal der allmächtige Staat der große Manipulator, sondern auch die Privatwirtschaft ist an Kundenprofilen interessiert und sammelt unsere elektronischen Spuren. So verlieren wir Schritt für Schritt unsere Privatsphäre. Für Polizei, Geheimdienste und Kriminalisten entsteht ein wahres Eldorado. Denn die technischen Möglichkeiten der Datenabschöpfung wachsen grenzenlos, wie Gerald Reischl in seinem Buch "Im Visier der Datenjäger" zeigt. So können zum Beispiel Nachrichten auf Anrufbeantwortern abgehört werden. Es gibt Lügendetektoren, die ans Telefon angeschlossen werden und bei geringen Stimmschwankungen verraten, ob der Anrufer etwas verbirgt. Wer Kundenkarten besitzt, kann durch geschickte Analysen seiner Lebensmittel oder Körperpflegeartikel auf seine Lebensumstände untersucht werden.

Auch Besitzer von Bankkarten leben gefährlich, denn mit etwas Geschick kann mittels Kartenlesegerät und Laptop jeder Pincode geknackt werden. Anhand des "Verfettungsgefälles" läßt sich die kurz zuvor gedrückte Zahlenkombination rekonstruieren, denn jede Tasteneingabe hinterläßt eine Fettspur, die beim ersten Tastendruck noch fetter und beim letzten Abrieb am trockensten ist. Internetsurfer sollten wissen, daß es technisch möglich ist, jede Spur im Internet zu verfolgen. Und Computerprogramme werden wie Sportler trainiert und bilden "neuronale Netze", die wie ein Gehirn arbeiten, selbständig denken und ermitteln können. Werden zum Beispiel Datenbanken miteinander verknüpft, sammelt das neuronale Netz alle Daten, die zu einer bestimmten Person gehören. Das Netz wird mit einem Namen "auf Reisen geschickt" und kehrt mit einem kompletten Persönlichkeitsprofil zurück.

Noch phantastischer sind die Möglichkeiten der Luftüberwachung. Per Satellit können Landwirte kontrolliert und praktisch jeder Halm auf dem Stengel gezählt werden. Es heißt, daß auch die Mafia bereits über Satellitensysteme verfügt. Nur Schöngeister können daher noch vom Schutz der Intimsphäre reden.

Gerald Reischl: Im Visier der Datenjäger. Verlag Ueberreuter, München 1998, 223 Seiten, 45 Mark


 
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