© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Weihnachten: Den Bußpredigern zum Trotz
Frohe Botschaft
Klaus Motschmann

Friedrich Nietzsche hat einmal bemerkt, daß die Christen erlöster aussehen müßten, um an ihren Erlöser glauben zu können. Er hat damit auf einen bestimmten, allerdings keineswegs typischen Frömmigkeitsstil im deutschen Protestantismus angespielt, wie er etwa von August Hermann Francke in den nach ihm benannten Stiftungen in Halle/S. eingeübt wurde. In seinem bekannten Pädagogium galten Frohsinn, Spiel, Tanz und Musik als Ausdruck eines mangelhaften Schudbewußtseins und waren deshalb untersagt. Statt dessen hatten sich die Zöglinge zum Beweis ihres Schuldbewußtseins stets mit ernstem Blick und gesenktem Kopf zu bewegen, obwohl sie sich in der Regel gar keiner persönlichen Schuld bewußt waren. Nach einer körperlichen Züchtigung wegen eines Verstoßes gegen die strengen Regeln hatten sie sich bei den Erziehern mit Handschlag zu bedanken, weil sie auf diese Weise rechtzeitig vor weiteren Sünden bewahrt wurden. "Wehret den Anfängen" – auch schon vor 250 Jahren!

Der bekannte Fernsehmoderator Thomas Gottschalk hat Anfang Dezember auf einer Konferenz kirchlicher Publizisten festgestellt, daß die Kirche ihre Inhalte generell "etwas düster präsentiert" und nur wenig von der "frohen Botschaft" erkennen läßt, die sie doch auch zu verkündigen hat.

Aber wo ist das in den großen öffentlichen Darstellungen der evangelischen Kirche noch der Fall, vor allem zur Weihnachtszeit? Ideologisierte Bußprediger haben die "frohe Botschaft" zu einer Drohbotschaft verkommen lassen und damit ganzjährige Bußtags- und Karfreitagsstimmung erzeugt, die selbstverständlich nicht ohne spürbare Rückwirkungen auf die allgemeine Befindlichkeit unseres Volkes bleibt. Der Berliner Korrespondent der Londoner Times hat seine diesbezüglichen Beobachtungen in einem Artikel unter der Überschrift "The German Angst" zusammengefaßt. Er stellt darin fest, daß die Deutschen sich weithin noch immer so verhalten, als ob sie die "letzten Plätze im letzten Rettungsboot der ‚Titanic‘ erobern" müßten und daß ihre Gesichter auf dem weihnachtlich geschmückten Kurfürstendamm in Berlin so "versteinert (sind), daß sie an die Bilder aus Pompeji erinnern".

Es bedarf keiner ausführlichen Begründung, daß die Verkündung der Weihnachtsbotschaft mit ihrer Kernaussage "Siehe ich verkündige euch große Freude" in krassem Widerspruch zu der alltäglichen Verkündigung großer Schuld – und den daraus abgeleiteten Schulden! – steht. Zumindest die "Gebildeten unter den Verächtern der Religion" richten ihre Kritik mit einem beliebten intellektuellen Taschenspielertrick nicht auf den Glauben an sich, sondern auf die Glaubwürdigkeit der christlichen Tradition, zum Beispiel des Weihnachtsfestes. Es sei Ausdruck mangelnden Schuldbewußtseins (wie bei den Zöglingen Franckes), wenn man in Deutschland angesichts der deutschen Schuld in der Vergangenheit und der schweren wirtschaftlich-sozialen Nöte, ökologischen Katastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen in aller Welt "große Freude" verkündige und "frohe Weihnachten" feiere. Noch Mitte der achtziger Jahre hat ein bekannter evangelischer Theologe in seiner Betrachtung zum Weihnachtsfest im Rundfunk darüber nachgedacht, ob man das Weihnachtsfest nicht für einige Zeit aussetzen sollte, solange dieser Zustand anhält.

Man lese nur einmal aufmerksam die Weihnachtslieder, Weihnachtsgeschichten, Briefe aus Kriegszeiten, schwerer sozialer oder persönlicher Not, in denen die Botschaft des Evangeliums über die Jahrhunderte hinweg eindrucksvoll bezeugt wird. Der Bogen spannt sich von Paul Gerhardts "Fröhlich soll mein Herze springen" aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges bis hin zu Jochen Kleppers "Die Nacht ist vorgedrungen" aus dem Jahre 1938, in dem es heißt: "Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein" und: "Wer schuldig ist auf Erden,/verhüll nicht mehr sein Haupt./ Er soll errettet werden, /wenn er dem Kinde glaubt."

In allen Weihnachtsliedern wird die Kernaussage des christlichen Glaubens und damit der "Grund ewiger Freude" unmißverständlich bezeugt: er liegt nicht in der Ankunft der "Tochter aus Elysium", sondern des Erlösers dieser Welt. Das Geheimnis der Erlösung liegt zwar in der Erinnerung; aber eben nicht in der ständigen Erinnerung an menschliche Schuld, so wichtig dies auch ist, sondern in der Erinnerung an die göttliche Schuldvergebung, die uns in der Weihnachtsbotschaft durch die Geburt Jesu Christi über die Jahrhunderte hinweg verkündigt wurde.

Die Anzeichen mehren sich, daß diese entscheidende (weil scheidende) Aussage des christlichen Glaubens systematisch verdrängt wird, und zwar nicht durch die Methoden totalitärer Herrschaftssysteme , sondern durch die freiwillige Selbstpreisgabe der Kirchen im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens in einer multikulturellen Gesellschaft.

Es mehren sich aber auch die Anzeichen, daß wir uns der Bedeutung der Weihnachtsbotschaft für die Bewahrung unserer christlich-abendländischen Tradition wieder stärker bewußt werden und den immer deutlicher erkennbaren Herausforderungen entschiedener als bisher begegnen können.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin


 
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