© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    01/00 24. Dezember / 31. Dezember 1999


Nordrhein-Westfalen: Sozialdemokraten im Sog der Flugaffäre
Zum Fischen und Jagen
Klaus Meyer

Für die nordrhein-westfälische SPD ist die "Schwarzkonten-Affäre" der CDU ein Geschenk des Himmels. Denn ohne diese stünde sie vier Monate vor der nächsten Landtagswahl konkurrenzlos in einer sozialdemokratischen Affären-Staffel, die mit Glogowski in Niedersachsen über Klimmt im Saarland bis zum nordrhein-westfälischen Finanzminister Schleußer führte. Doch dank Kohls doppelter Buchführung stellt Düsseldorf vorerst nur einen Nebenschauplatz dar.

Im Mittelpunkt steht die Westdeutsche Landesbank, an der das Land NRW mit 43 Prozent beteiligt ist. Wie fast alle Unternehmen in Bundes-, Landes- oder Kommunalbesitz steht sie unter Dauerverdacht, ein "Politikversorgungswerk" zu sein, zumal der WestLB-Chef Friedel Neuber ein Spezi von Rau und Schleußer ist. Die Landesregierung hätte die Affäre längst aufklären können, doch in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage nach Flügen von Regierungsmitgliedern mit der WestLB von CDU-Abgeordneten vom April 1998 hat sie u.a. die Privatflüge Schleußers verschwiegen. Lediglich 28 Flüge, die als "Sachleistungen" für Aufsichtsgremien zu verstehen seien – der NRW-Wirtschaftsminister und der Finanzminister gehören dem Verwaltungsrat an –, seien erfolgt. Bereits früher war Schleußers Rolle bei der WestLB umstritten. Er schacherte der Bank Millionenaufträge zu, indem er alle Landesbehörden bis in die kleinste Amtsstube ohne Ausschreibung per Erlaß verpflichtete, alle Reisen bei der WestLB-Tochter FIRST-Reisen zu buchen. Der Haushaltsplan 1997 sah 94,7 Millionen Mark für Dienstreisen von Landesbediensteten vor.

Die geringe Auskunftsfreude der Landesregierung regte die Phantasie von Journalisten an, und so kam es, wie es kommen mußte. Immer mehr private Verstrickungen der Landesregierung mit der WestLB kamen ans Tageslicht. In der "Flugaffäre" geht es mittlerweile um folgende Flüge von Regierungsmitgliedern:

Schleußer: Der Finanzminister hat zugegeben, zweimal mit von der WestLB gecharterten Maschinen privat an die Adria geflogen zu sein, am 17. Oktober 1995 und am 11. Oktober 1996. Sein Konto soll daraufhin mir rund 29.000 Mark für beide Flüge belastet worden sein. Der Focus berichtet hingegen, die Bank habe für beide Flüge mehr als 55.000 an die Fluggesellschaft PJC bezahlt. Zwei weitere Flüge Schleußers – nach Innsbruck, wo Rau zur Kur war, und nach Sylt mit dem damaligen Umweltminister Matthiesen – sollen dienstlich gewesen sein. Man habe "von Sylt aus" mit der Kieler Landesregierung sprechen wollen. Eine Flugbegleiterin will die Minister auf diesem Dienstflug mit Angelzeug und Gummistiefeln gesehen haben.

Rau: Der frühere Ministerpräsident Rau soll neben dienstlichen Flügen auch den WestLB-Jet zu Flügen nach Saarbrücken zum SPD-Wahlkampf und nach Ostfriesland zur Fähre nach Spiekeroog geflogen sein,wobei letzterer Flug von ihm bestritten wird.

Clement: Der Ministerpräsident ist nach eigenen Angaben zweimal mit WestLB-Flugzeugen zu Ministerkonferenzen geflogen und einmal mit Ehefrau Karin zu Staatsbesuch und Opernball nach Wien.

Farthmann: Auch der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende und Arbeitsminister ist 1990 mit Friedel Neuber auf Kosten der Landesbank ohne Bezahlung zur Bärenjagd ins frühere Jugoslawien geflogen.

Besonderen Unterhaltungswert erhielt die Affäre, als bekannt wurde, daß sich einige Presseberichte auf Aussagen eines früheren Piloten stützen, der inzwischen wegen Drogenhandels in Haft sitzt. Der Chefpilot der Fluggesellschaft PJC, die im Dienste der Bank steht, ist inzwischen verstorben. Seine Aufzeichnungen über Politiker-Flüge sollen seit geraumer Zeit auf dem Nachrichten-Markt zum Verkauf angeboten worden sein. SPD-Fraktionschef Manfred Dammeyer sprach deshalb von "Schweinereien" und beantragte namens seiner Fraktion gleich selbst einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der "Flugaffäre". Doch ohne die Presseberichte hätte es wohl auch keine Aufklärung gegeben.

Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter der WestLB wegen Untreue. An die Chartergesellschaft PJC sollen überhöhte Beträge gezahlt worden sein.

Die betroffenen Politiker zeigen keinerlei Unrechtsbewußtsein oder Reue. Sie halten alles für korrekt und drohen mit Klagen. Der Untersuchungsausschuß des Landtags, der am Freitag vergangener Woche eingesetzt wurde, soll nun die Angelegenheit aufklären. Die rot-grüne Mehrheit im Landtag verweigerte allerdings die Ausweitung des Untersuchungsauftrages auf alle Leistungen, die die WestLB nordrhein-westfälischen Politikern erbracht hat. Die Ausrichtung der Geburtstagsfeier von Johannes Rau durch die Bank mit 150.000 Mark darf daher nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Dennoch wird Rau möglicherweise vor dem Untersuchungsausschuß zu seinen Flügen mit der WestLB aussagen müssen, was Clement und Dammeyer durch inständige Bitten an die Opposition zu verhindern suchen. Gleichzeitig werfen sie der CDU "Machenschaften" vor, die von ihrer Spendenaffäre ablenken sollen. Die CDU, die ihren Wahlsieg im Mai 2000 fast schon sicher glaubte, wird unter dem Druck der Schwarzkonten-Affäre wohl nichts unversucht lassen, um die WestLB-Affäre in den nächsten Monaten am Kochen zu halten.

Die ganze Affäre wirft ein Licht auf die Verfilzung von Regierungen und Staatsunternehmen. Ist der Staat nicht mehr in der Lage, seinen Ministern angemessene Verkehrsmittel für Dienstreisen zur Verfügung zu stellen? Müssen sich Politiker bei ihren Geburtstagsfeiern von Wirtschaftsunternehmen aushalten lassen?


 
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